Deutschland
Bundesrepublik Deutschland | |||||
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Amtssprache | Deutsch; als Regionalsprache: Niederdeutsch; als Minderheitensprache: Dänisch, Nordfriesisch, Saterfriesisch, Sorbisch, Romanes | ||||
Hauptstadt | Berlin | ||||
Regierungssitz | Berlin, Bonn | ||||
Staatsform | parlamentarische Bundesrepublik | ||||
Regierungssystem | parlamentarische Demokratie | ||||
Staatsoberhaupt | Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier | ||||
Regierungschef | Bundeskanzlerin Angela Merkel | ||||
Fläche | 357.385,71[1](62.) km² | ||||
Einwohnerzahl | 82.792.351 (31. Dezember 2017)[2] | ||||
Bevölkerungsdichte | 232 (37.) Einwohner pro km² | ||||
Bevölkerungsentwicklung | ▲ +0,4 % (2016)[3] pro Jahr | ||||
Bruttoinlandsprodukt
| 2017[4]
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Index der menschlichen Entwicklung | ▲ 0,936 (5.) (2018)[5] | ||||
Währung | Euro (EUR) | ||||
Gründung | 1. Januar 1871: Deutsches Reich (völkerrechtl. 1. Juli 1867: Norddeutscher Bund) 23. Mai 1949: Bundesrepublik Deutschland (Grundgesetz)[6] (siehe Abschnitt „Staatsgründung“) | ||||
Nationalhymne | Das Lied der Deutschen (dritte Strophe) | ||||
Nationalfeiertag | 3. Oktober (Tag der Deutschen Einheit) | ||||
Zeitzone | UTC+1, MEZ UTC+2, MESZ (März bis Oktober) | ||||
Kfz-Kennzeichen | D | ||||
ISO 3166 | DE, DEU, 276 | ||||
Internet-TLD | .de | ||||
Telefonvorwahl | +49 | ||||
Deutschland ( [.mw-parser-output .IPA a{text-decoration:none}ˈdɔʏtʃlant]; Vollform: Bundesrepublik Deutschland) ist ein Bundesstaat in Mitteleuropa. Er besteht aus 16 Ländern und ist als freiheitlich-demokratischer und sozialer Rechtsstaat verfasst. Die Bundesrepublik Deutschland stellt die jüngste Ausprägung des deutschen Nationalstaates dar. Deutschland hat über 82,5 Millionen Einwohner und zählt mit 232 Einwohnern pro km² zu den dicht besiedelten Flächenstaaten.
An Deutschland grenzen neun Staaten, die Nord- und Ostsee im Norden und die Alpen im Süden. Es liegt in der gemäßigten Klimazone und verfügt über sechzehn National- und über hundert Naturparks. Bundeshauptstadt sowie bevölkerungsreichste deutsche Stadt ist Berlin. Weitere Metropolen mit mehr als einer Million Einwohnern sind Hamburg, München und Köln, der größte Ballungsraum ist das Ruhrgebiet, Frankfurt ist als deutsches Finanzzentrum international von Bedeutung. Deutschland gilt als das Land mit der weltweit zweithöchsten Zahl von Einwanderern nach den Vereinigten Staaten. Seine Bevölkerung ist die zweitälteste und hat mit 1,59 Kindern pro Frau (2016) eine der niedrigeren Geburtenraten im globalen Vergleich, liegt aber unter den EU-Staaten aufgrund eines kontinuierlichen Anstiegs in den 2010er-Jahren mittlerweile im Mittelfeld.[7]
Auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands sind etwa 500.000 Jahre alte frühe Siedlungen durch Funde des Homo heidelbergensis, des Neandertalers sowie einiger der ältesten Kunstwerke der Menschheit aus der Altsteinzeit nachgewiesen. Seit der Antike ist die lateinische Bezeichnung Germania für das Siedlungsgebiet der Germanen bekannt, seit dem 4. Jahrhundert ist der Begriff deutsch in althochdeutscher Form belegt. Das ab dem 10. Jahrhundert bestehende Heilige Römische Reich, das aus vielen Herrschaftsgebieten bestand, war wie der 1815 ins Leben gerufene Deutsche Bund ein Vorläufer des deutschen Nationalstaates, des 1871 gegründeten Deutschen Reichs, das sich rasch vom Agrar- zum Industriestaat entwickelte.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg kam es 1918 zur Bildung der demokratischen Weimarer Republik. Die nationalsozialistische Diktatur ab 1933 mit politischer und rassistischer Verfolgung und der Ermordung von sechs Millionen Juden begann den verheerenden Zweiten Weltkrieg, der 1945 in Deutschlands Niederlage endete. Das von den Siegermächten besetzte Land wurde 1949 geteilt. Der Gründung der Bundesrepublik als demokratischer westdeutscher Teilstaat mit Westbindung am 24. Mai 1949 folgte die Gründung der sozialistischen DDR am 7. Oktober 1949 als ostdeutscher Teilstaat unter sowjetischer Hegemonie. Die innerdeutsche Grenze war nach dem Mauerbau 1961 abgeriegelt. Nach der friedlichen Revolution in der DDR 1989 folgte die Lösung der deutschen Frage durch die Wiedervereinigung beider Landesteile am 3. Oktober 1990.
Deutschland ist Gründungsmitglied der Europäischen Union sowie deren bevölkerungsreichstes Land. Mit 18 anderen EU-Mitgliedstaaten bildet es eine Währungsunion, die Eurozone. Es ist Mitglied der UN, der OECD, der OSZE, der NATO, der G7, der G20 und des Europarates. Die Bundesrepublik Deutschland gilt als einer der politisch einflussreichsten Staaten Europas und ist ein gesuchtes Partnerland auf globaler Ebene.[8]
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist das marktwirtschaftlich organisierte Deutschland die größte Volkswirtschaft Europas und die viertgrößte der Welt.[4] 2016 war es die drittgrößte Export- und Importnation.[9] Aufgrund der Rohstoffarmut und der Automatisierung der Industrie entwickelt sich das Land, das auf die Qualität seines Bildungssystems angewiesen ist, zunehmend zur Informations- und Wissensgesellschaft. Gemäß dem Index der menschlichen Entwicklung zählt Deutschland zu den sehr hoch entwickelten Ländern.[10]
Muttersprache der Bevölkerungsmehrheit ist die deutsche Sprache. Daneben gibt es Regional- und Minderheitensprachen und Migranten mit anderen Muttersprachen. Die Kultur Deutschlands ist vielfältig und wird beispielsweise im UNESCO-Welterbe in Deutschland und in Kulturdenkmälern erfasst und gewürdigt.
Inhaltsverzeichnis
1 Begriffsgeschichte: Deutsch und Deutschland
2 Geographie
2.1 Physische Geographie
2.1.1 Geologie
2.1.2 Relief
2.1.3 Klima
2.1.4 Gewässer
2.1.5 Inseln
2.2 Flora
2.3 Fauna
2.4 Humangeographie
2.4.1 Verwaltungsgliederung
2.4.2 Ballungsgebiete
3 Bevölkerung
3.1 Demografie
3.2 Einwanderung
3.3 Sprachen
3.4 Religionen
4 Geschichte
4.1 Urgeschichte, Kelten, Germanen und Römer
4.2 Völkerwanderung und Frühmittelalter (375–962)
4.3 Vom Ostfrankenreich zum Heiligen Römischen Reich (962–1806)
4.4 Rheinbund, Deutscher Bund, Norddeutscher Bund (1806–1871)
4.5 Deutsches Kaiserreich (1871–1918)
4.6 Weimarer Republik (1919–1933)
4.7 Nationalsozialistische Diktatur (1933–1945)
4.8 Alliierte Besatzung (1945–1949)
4.9 Bundesrepublik Deutschland und DDR (1949–1990)
4.10 Wiedervereinigtes Deutschland (seit 1990)
5 Politik
5.1 Staatsgründung
5.2 Politisches System
5.3 Staatshaushalt
5.4 Parteienlandschaft
5.5 Europapolitik
5.6 Außen- und Sicherheitspolitik
5.7 Militär
5.8 Polizei und Nachrichtendienste
5.9 Recht
6 Wirtschaft
6.1 Grundlagen
6.2 Wirtschaftsentwicklung
6.3 Informationstechnik und Telekommunikation
6.4 Energie
6.5 Tourismus
7 Verkehr
7.1 Straßenverkehr
7.2 Schienenverkehr
7.3 Nahverkehr
7.4 Luftverkehr
7.5 Schiffsverkehr
8 Kultur
9 Gesellschaft
9.1 Soziales
9.2 Gesundheit
9.3 Bildung
9.4 Wissenschaft
10 Gesprochene Version
11 Siehe auch
12 Literatur
13 Weblinks
14 Anmerkungen
Begriffsgeschichte: Deutsch und Deutschland
Die etymologischen Vorformen von deutsch bedeuteten ursprünglich „zum Volk gehörig“, wobei das Adjektiv zunächst die Dialekte des kontinental-westgermanischen Dialektkontinuums bezeichnete. Die Bezeichnung Deutschland wird seit dem 15. Jahrhundert verwendet, ist in einzelnen Schriftstücken aber schon früher bezeugt; in der Frankfurter Übersetzung der Goldenen Bulle (um 1365) heißt es Dutschelant. Davor sind nur Wortfügungen des Attributs deutsch mit Land belegt, beispielsweise in der unbestimmten Singularform „ein deutsches Land“ oder der bestimmten Pluralform „die deutschen Länder“, nicht aber in der bestimmten Singularform „das deutsche Land“. Gemeint waren Länder mit einer Führungsschicht, die sich auf den politischen Herrschaftsanspruch des (Ost-)Fränkischen, ab dem 10. Jahrhundert des Heiligen Römischen Reiches bezog. Die Bezeichnung wurde damit vor allem für (vor-)staatliche Gebilde im deutschen Sprach- oder Herrschaftsgebiet verwendet, das über Jahrhunderte große Veränderungen erlebte.
Das Heilige Römische Reich, ursprünglich nur als „Reich“ (lateinisch Imperium) bezeichnet, erhielt mehrere Namenszusätze: „Heilig“ seit Mitte des 12. Jahrhunderts, „Römisch“ seit Mitte des 13. Jahrhunderts und seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert „Deutscher Nation“ (Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation). Nach dessen Ende 1806 wurde ein deutscher Nationalstaat, das Deutsche Reich, 1871 gebildet, das in unterschiedlichen Staatsformen in die heutige Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist (siehe Rechtslage Deutschlands nach 1945). Da eine Fortführung des Staatsnamens Deutsches Reich im Parlamentarischen Rat wegen seines „aggressiven Akzents“ abgelehnt wurde, wurde Deutschland als Staatsname in der damals konstituierten „Bundesrepublik Deutschland“ erstmals verwendet; in den Beratungen sagte Theodor Heuss 1948: „Mit dem Wort Deutschland geben wir dem Ganzen ein gewisses Pathos … sentimentaler und nicht machtpolitischer Art.“[11] Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) nutzte Deutschland nicht im Staatsnamen, aber als synonyme Bezeichnung für DDR in Art. 1 der Verfassung von 1949. Später verwendete die DDR fast nur noch das Attribut deutsch beziehungsweise den Namenszusatz „… der DDR“ für staatliche Hoheitsbezeichnungen. Mit der deutschen Einheit 1990 konnte Deutschland zur amtlichen Kurzform der Staatsbezeichnung werden.[12]
Geographie
Physische Geographie
Physische Karte | Lage Deutschlands in Europa |
Die naturräumlichen Großregionen sind von Nord nach Süd Norddeutsches Tiefland, Mittelgebirgszone und Alpenvorland mit Alpen.
Deutschland hat insgesamt neun Nachbarstaaten: Im Norden grenzt Deutschland an Dänemark (auf einer Länge von 67 Kilometern), im Nordosten an Polen (442 Kilometer), im Osten an Tschechien (811 Kilometer), im Südosten an Österreich (815 Kilometer; ohne Grenze im Bodensee), im Süden an die Schweiz (316 Kilometer; mit Grenze der Exklave Büsingen am Hochrhein, aber ohne Grenze im Bodensee), im Südwesten an Frankreich (448 Kilometer), im Westen an Luxemburg (135 Kilometer) und Belgien (156 Kilometer) und im Nordwesten an die Niederlande (567 Kilometer). Die Grenzlänge beträgt insgesamt 3757 Kilometer (ohne Grenze im Bodensee, siehe Kondominium). Damit ist Deutschland das Land mit den meisten europäischen Nachbarstaaten.
Der nördlichste Landpunkt Deutschlands befindet sich seit 2013 im Offshore-Windpark DanTysk rund 70 km westlich der Insel Sylt.[13] Der nördlichste öffentlich zugängliche Landpunkt befindet sich auf Sylt nördlich von List am Ellenbogen. Der nördlichste Festlandpunkt liegt in der Gemeinde Rodenäs im Kreis Nordfriesland. Den südlichsten Punkt Deutschlands bildet das Haldenwanger Eck südlich von Oberstdorf. Der westlichste Ort Deutschlands liegt in Isenbruch im Selfkant an der Grenze zu den Niederlanden nahe der Maas, der östlichste in der Gemeinde Neißeaue zwischen Deschka und Zentendorf in einer Flussschleife der Lausitzer Neiße. Vom Ellenbogen bis zum Haldenwanger Eck sind es rund 875 Kilometer Luftlinie, von Isenbruch bis zur Flussschleife der Neiße rund 636 Kilometer, die längste Entfernung innerhalb Deutschlands zwischen dem Ellenbogen und dem südlichsten Punkt der Gemeinde Schönau am Königssee beträgt rund 902 Kilometer.
Als Mittelpunkt Deutschlands gelten je nach Berechnungsmethode verschiedene Orte. Die geografischen Extrempunkte Deutschlands, die Gemeinden Görlitz, Selfkant, List und Oberstdorf, sind im „Zipfelbund“ zusammengeschlossen.
Geologie
Deutschland gehört geologisch zu Westeuropa, das heißt zu jenem Teil des Kontinents, der dem präkambrisch konsolidierten „Ur-Europa“ (Osteuropa einschließlich eines Großteils Skandinaviens, vgl. Baltica) erst im Verlauf des Phanerozoikums sukzessive durch Kontinent-Kontinent-Kollisionen (Gebirgsbildungen) angegliedert wurde. Die entsprechenden Krustenprovinzen (Grundgebirgsprovinzen) werden klassisch vereinfachend (Ost-)Avalonia (vgl. kaledonische Gebirgsbildung) und Armorica (vgl. variszische Gebirgsbildung) genannt. Die jüngste Krustenprovinz ist das Alpen-Karpaten-Orogen (vgl. alpidische Gebirgsbildung), an dem Deutschland nur mit dem äußersten Süden Bayerns Anteil hat und das im Gegensatz zu den beiden anderen tektonischen Provinzen ein aktives Orogen darstellt.
Die heutige Oberflächengeologie Deutschlands, das heißt das Muster aus verschieden alten und verschieden aufgebauten Gesteinskomplexen, wie es in Geologischen Karten vielfach abgebildet ist, entstand erst im Verlauf der letzten 30 bis 20 Millionen Jahre im jüngeren Känozoikum und wurde von zwei Ereignissen maßgeblich geprägt: der Alpidischen Gebirgsbildung und dem Quartären Eiszeitalter.
Das Quartäre Eiszeitalter zeichnet für die vergleichsweise eintönige Oberflächengeologie Norddeutschlands und des Alpenvorlandes mit ihren Moränenablagerungen und sonstigen Begleiterscheinungen großflächiger Vergletscherungen verantwortlich (vgl. glaziale Serie).
Die Oberflächengeologie der Mitte und des überwiegenden Teils des Südens Deutschlands ist das Ergebnis bedeutender bruchtektonischer Hebungen und Senkungen, die auf die Fernwirkung der Alpidischen Gebirgsbildung zurückgehen. Hierbei wurden teils alte (überwiegend Paläozoikum), variszisch gefaltete Grundgebirgskomplexe (Schiefergebirge und Kristallin) aus dem Untergrund herausgehoben und großflächig freigelegt (u. a. Rheinisches Schiefergebirge, Harz, Erzgebirge), teils sank die Erdkruste ein und bildete Sedimentationsräume, die mehr oder weniger mächtige känozoische Sedimentabfolgen aufnahmen (Oberrheingraben, Niederrheingraben, Hessische Senke, Molassebecken). Eine tektonische Zwischenstellung nehmen die Tafelländer mit ihren ungefalteten mesozoischen Schichtenfolgen ein, dominiert von Trias und Jura (Thüringer Becken, Süddeutsches Schichtstufenland).
Relief
Das geologisch junge Faltengebirge der Alpen ist das einzige Hochgebirge, an dem Deutschland Anteil hat. Die deutschen Alpen, die sich fast zur Gänze im Bundesland Bayern befinden, ein kleiner Teil des äußersten Nordwestens der Allgäuer Alpen liegt in Baden-Württemberg, weisen die einzigen Gebirgsgipfel mit mehr als 2000 m ü. NHN auf. Der Gipfel der Zugspitze (2962 m ü. NHN), den sich Deutschland mit Österreich teilt, ist der höchstgelegene Punkt des Landes.
Die deutschen Mittelgebirge erstrecken sich vom Nordrand der Mittelgebirgsschwelle bis zum Alpenrand und zum Oberrhein mit dem Bodensee. Sie nehmen tendenziell von Nord nach Süd an Höhe und Ausdehnung zu. Höchster Mittelgebirgsgipfel ist der Feldberg im Schwarzwald (1493 m ü. NHN), gefolgt vom Großen Arber im Bayerischen Wald (1456 m ü. NHN). Gipfel über 1000 m ü. NHN besitzen außerdem das Erzgebirge, das Fichtelgebirge, die Schwäbische Alb und der Harz, der sich recht isoliert als nördlichstes unter den höchsten deutschen Mittelgebirgen mit dem Brocken auf 1141 m ü. NHN erhebt. Nördlich der Mittelgebirgsschwelle erreichen nur noch einige Berge innerhalb der eiszeitlichen Endmoränenzüge mehr als 100 m ü. NHN, von denen die Heidehöhe in Schraden (Südlicher Landrücken im brandenburgisch-sächsischen Grenzgebiet) mit 201 m ü. NN der höchste ist.
Die tiefste begehbare Landesstelle Deutschlands liegt bei 3,54 m unter NN in einer Senke bei Neuendorf-Sachsenbande in der Wilstermarsch (Schleswig-Holstein). Eine aktuelle Höhenangabe bezogen auf Normalhöhennull ist noch nicht frei zugänglich. Ebenfalls in diesem Bundesland befindet sich die tiefste Kryptodepression: Sie liegt mit 39,6 m unter NN am Grund des Hemmelsdorfer Sees nordöstlich von Lübeck. Der tiefste künstlich geschaffene Geländepunkt liegt bei 267 m unter NHN am Grund des Tagebaus Hambach östlich von Jülich in Nordrhein-Westfalen.
Klima
Deutschland gehört vollständig zur gemäßigten Klimazone Mitteleuropas im Bereich der Westwindzone und befindet sich im Übergangsbereich zwischen dem Seeklima in Westeuropa und dem Kontinentalklima in Osteuropa. Das Klima in Deutschland wird unter anderem vom Golfstrom beeinflusst, der das durchschnittliche Temperaturniveau für die Breitenlage ungewöhnlich hoch gestaltet.
Die mittlere Jahresdurchschnittstemperatur, bezogen auf die Normalperiode 1961–1990,[14] beträgt im bundesweiten Gebietsmittel 8,2 °C, die mittleren Monatsdurchschnittstemperaturen liegen zwischen −0,5 °C im Januar und 16,9 °C im Juli. Der mittlere jährliche Niederschlag beträgt 789 Millimeter. Die mittlere monatliche Niederschlagshöhe liegt zwischen 49 Millimeter im Februar und 85 Millimeter im Juni.
Die tiefste jemals in Deutschland gemessene Temperatur betrug −45,9 °C; sie wurde am 24. Dezember 2001 am Funtensee registriert. Die bisher höchste Temperatur betrug 40,3 °C und wurde am 5. Juli und 7. August 2015 in Kitzingen erreicht.[15]
Gewässer
Von den sechs Strömen mit den größten Einzugsgebieten entwässern Rhein, Elbe, Weser und Ems über die Nordsee und die Oder über die Ostsee in den Atlantik, während die Donau ins Schwarze Meer fließt und somit hydrographisch dem Mittelmeer zuzurechnen ist. Die Einzugsgebiete dieser beiden Systeme werden durch die europäische Hauptwasserscheide voneinander getrennt.
Der in der Schweiz entspringende Rhein dominiert den Südwesten und Westen. Auf 865 Kilometern fließt er durch bzw. an der Grenze zu Deutschland, bevor er über die Niederlande in die Nordsee mündet. Seine wichtigsten deutschen Zuflüsse sind Neckar, Main, Mosel und Ruhr. Der Rhein hat eine große wirtschaftliche Bedeutung und ist eine der am stärksten befahrenen Wasserstraßen Europas. Die Donau entwässert im Süden auf 647 Kilometern fast das gesamte deutsche Alpenvorland und fließt weiter nach Österreich und Südosteuropa. Ihre wichtigsten deutschen Zuflüsse sind Iller, Lech, Isar und Inn. Den Osten Deutschlands durchfließt auf 725 Kilometern die in Tschechien entspringende Elbe. Ihre wichtigsten deutschen Nebenflüsse sind Saale und Havel. Auf 179 Kilometern ist die Oder, wie im weiteren Verlauf auch ihr wichtigster Zufluss, die Neiße, der Grenzfluss zu Polen. Einzig das Einzugsgebiet der 452 Kilometer langen Weser liegt vollständig in Deutschland. Sie speist sich aus den Flüssen Werra und Fulda und entwässert den mittleren Norden. Die Ems durchfließt auf 371 Kilometern den äußersten Nordwesten des Landes. Ihr Einzugsgebiet erstreckt sich auch auf Teile der Niederlande.
Die natürlichen Seen sind überwiegend glazialen Ursprungs. Daher finden sich die meisten der großen Seen im Alpenvorland, in der Holsteinischen Schweiz und in Mecklenburg. Der größte vollständig zum deutschen Staatsgebiet gehörende See ist die Müritz, die Teil der mecklenburgischen Seenplatte ist. Der größte See mit deutschem Anteil ist der Bodensee, an den auch Österreich und die Schweiz grenzen. Im Westen und Osten Deutschlands gibt es viele, durch die Rekultivierung von Braunkohletagebauen oder Industriebrachen entstandene künstliche Seen, so das Leipziger Neuseenland oder den Dortmunder Phoenix-See.
Inseln
Im Wattenmeer, der niederländischen, deutschen und dänischen Nordseeküste unmittelbar vorgelagert, liegen die Friesischen Inseln. Während die Nordfriesischen Inseln Festlandsreste sind, die durch Landsenkung und nachfolgende Überflutung von der Küste getrennt wurden, handelt es sich bei den Ostfriesischen Inseln um Barriereinseln, die aus durch küstenparallele Strömungen sowie Wellen- und Gezeitendynamik angespülten Sedimenten entstanden. Das inmitten der Deutschen Bucht gelegene Helgoland ist die am weitesten vom Festland entfernt liegende bewohnte deutsche Insel. Sie geht auf den Aufstieg eines Salzstockes im Untergrund der Nordsee zurück.
Die größten deutschen Inseln in der Ostsee sind (von West nach Ost) Fehmarn, Poel, Hiddensee, Rügen und Usedom. Rügen ist zugleich die größte deutsche Insel. Größte Halbinsel ist Fischland-Darß-Zingst. Mit Ausnahme von Fehmarn sind diese Landflächen Teil einer Boddenküste, das heißt einer nacheiszeitlich gefluteten und nachfolgend durch Anlandungsvorgänge modifizierten Grundmoränenlandschaft.
Die größten und bekanntesten Inseln in Binnengewässern sind Reichenau, Mainau und Lindau im Bodensee sowie die Herreninsel im Chiemsee.
Flora
Der Naturraum Deutschland liegt in der gemäßigten Klimazone; von West nach Ost kennzeichnet seine natürliche Vegetation den Übergang vom Westseitenseeklima zum Kontinentalklima. Die Flora wäre ohne menschlichen Einfluss hauptsächlich von Laub- und Mischwäldern geprägt, ausgenommen nährstoffarme oder trockene Standorte wie Felskuppen, Heideniederungen und Moorlandschaften sowie die alpinen und subalpinen Hochlagen, die äußerst vegetationsarm und in ihrem Klima kaltgemäßigt sind.
Örtlich weist die Flora in Deutschland eine hohe Diversifikation durch Standortfaktoren des Geländes und der mesoklimatischen Lage auf. Der Gesamtbestand der in Deutschland wild lebenden Pflanzenarten wird auf 9.500 Arten geschätzt. Dazu kommen rund 14.000 Pilzarten.[16] Insbesondere auf Brach- und Störflächen finden sich heute eine Reihe eingeführter Arten wie die Robinie und das Drüsige Springkraut.
Derzeit bedeckt der Wald in Deutschland 32 Prozent der Landfläche. Damit ist Deutschland eines der waldreichsten Länder in der Europäischen Union. Die aktuelle Baumartenzusammensetzung entspricht nur zum geringen Teil den natürlichen Gegebenheiten und wird hauptsächlich von der Forstwirtschaft bestimmt. Die häufigsten Baumarten sind mit 26,0 Prozent Flächenanteil die Gemeine Fichte, gefolgt von der Waldkiefer mit 22,9 Prozent, der Rotbuche mit 15,8 Prozent und den Eichen mit 10,6 Prozent.[17]
Rund die Hälfte der Staatsfläche wird landwirtschaftlich genutzt, 182.637 km² am 31. Dezember 2016.[18] Neben der Nutzung als Dauergrünland wird auf einem Großteil Ackerbau betrieben, seit der Stein- bzw. der Bronzezeit überwiegend mit Nutzpflanzen, die nicht natürlich in Mitteleuropa vorkamen, die meisten Getreide aus dem Vorderen Orient, Kartoffel und Mais aus Amerika. In den Flusstälern, unter anderem von Main, Mosel, Ahr und Rhein, wurde die Landschaft vielfach für den Weinanbau umgestaltet.
Die Bewahrung der Natur ist in Deutschland öffentliche Aufgabe und in Art. 20a Grundgesetz verankertes Staatsziel. Dem Naturschutz dienen 16 Nationalparks (siehe Nationalparks in Deutschland), 19 Biosphärenreservate, 95 Naturparks sowie tausende von Naturschutzgebieten, Landschaftsschutzgebieten und Naturdenkmälern.
Fauna
In Deutschland sind etwa 48.000 Tierarten nachgewiesen, darunter 104 Säugetier-, 328 Vogel- und über 30.000 Insektenarten.[19]
Die meisten in Deutschland heimischen Säugetiere leben in den gemäßigten Laubwäldern. Im Wald leben unter anderem Marder, Dam- und Rothirsche, Rehe, Wildschweine sowie Luchse und Füchse. Biber und Otter sind seltene Bewohner der Flussauen, mit teilweise wieder steigenden Beständen. Andere Großsäuger wurden ausgerottet: Auerochse (um 1470), Braunbär (1835), Elch (im Mittelalter noch zahlreich), Wildpferd (19. Jahrhundert), Wisent (17./18. Jahrhundert), Wolf (1904). In neuerer Zeit wandern gelegentlich Elche und Wölfe aus Polen und Tschechien ein; erste Wolfsrudel bildeten sich im sorbischen Raum, mittlerweile auch weiter westlich, seit um 2000 Nachwuchs geboren wurde. 2010 wurde eine Herde Wisente im Rothaargebirge angesiedelt. In hochalpinen Regionen leben Alpensteinbock und Alpenmurmeltier, die Gämse in verschiedenen Mittelgebirgen.
Zu den in Deutschland lebenden Reptilien zählen Ringelnatter, Kreuzotter und europäische Sumpfschildkröte. Amphibien wie Salamander, Frösche, Kröten, Unken und Molche sind in Deutschland alle auf der Roten Liste bedrohter Tierarten geführt.
Vom Seeadler, der als Vorlage für das deutsche Wappentier gilt, gibt es wieder etwa 500 Paare, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Der Steinadler kommt nur noch in den Bayerischen Alpen vor, wo der dort ausgerottete Bartgeier aus Schweiz und Österreich wieder Einzug hält. Die häufigsten Greifvögel sind heute Mäusebussard und Turmfalke, der Bestand an Wanderfalken ist deutlich geringer. Über die Hälfte des Gesamtbestandes an Rotmilanen brütet in Deutschland, ist aber aufgrund der intensiven Landwirtschaft rückläufig. Dagegen profitieren viele Vögel als Kulturfolger von der Anwesenheit des Menschen, insbesondere die in Städten lebenden Stadttauben, Amseln (frühere Waldvögel), Spatzen und Meisen, für deren Überleben auch die Winterfütterung sorgt, sowie Krähen und Möwen auf Müllkippen.
Der früher in den Flüssen häufige Lachs wurde im Zuge der Industrialisierung weitgehend ausgerottet, aber in den 1980er-Jahren im Rhein wieder angesiedelt. Der letzte Stör wurde 1969 in Deutschland gefangen. In vielen Teichen werden die von den Römern eingeführten Karpfen gehalten.
Vom nahezu ausgerotteten Seehund leben im Wattenmeer wieder einige tausend Exemplare; auch die Kegelrobben kehren an die Küsten Deutschlands zurück, nachdem sie dort durch Bejagung verschwunden waren. Das Wattenmeer ist Rastplatz für zehn bis zwölf Millionen Zugvögel pro Jahr. In Nord- und Ostsee kommen acht Walarten vor, darunter der Schweinswal, und mit dem Gemeinen Delfin auch eine Delfinart.
Zu den – teils invasiven – Neozoen in Deutschland gehören Waschbär, Marderhund, Halsbandsittich und Nilgans.
Humangeographie
In Deutschland werden insgesamt 51 Prozent der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt (2016), Wälder bedecken weitere 30 Prozent. 14 Prozent werden als Siedlungs- und Verkehrsfläche genutzt (Tendenz steigend). Wasserflächen kommen auf 2 Prozent, die restlichen 3 Prozent verteilen sich auf sonstige Flächen, zumeist Ödland und auch Tagebaue.[18]
Verwaltungsgliederung
Die föderal aufgebaute Bundesrepublik besteht aus 16 Gliedstaaten, die offiziell als Länder (Bundesländer) bezeichnet werden. Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg bestehen jeweils aus gleichnamigen Einheitsgemeinden, während die Freie Hansestadt Bremen, als dritter Stadtstaat, mit Bremen und Bremerhaven zwei separate Stadtgemeinden umfasst. Im Unterschied zu anderen Föderalstaaten gibt es in Deutschland keine bundesunmittelbaren Gebiete.
Die Gemeinden sind die kleinsten selbständigen Gebietskörperschaften Deutschlands. Sie sind, mit Ausnahme der Stadtstaaten und der meisten kreisfreien Städte, in Landkreisen und anderen Gemeindeverbänden zusammengefasst. Kreise und Gemeinden unterliegen dem Kommunalverfassungsrecht des jeweiligen Bundeslandes und sind daher bundesweit unterschiedlich organisiert. Einzig die Kreisstadt als Verwaltungssitz eines Landkreises findet sich deutschlandweit.
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Ballungsgebiete
In Deutschland werden Verdichtungs- und Ballungsräume (Agglomerationen) nicht statistisch genau abgegrenzt. Es gibt 79 Großstädte (ab 100.000 Einwohner), davon 14 mit mehr als 500.000 Einwohnern,[35] historisch bedingt überwiegend im Westen und Südwesten Deutschlands. Diese entlang des Rheins verlaufenden Ballungsräume bilden den Mittelteil der zentralen europäischen Bevölkerungskonzentration (Blaue Banane). Die meisten Agglomerationen sind monozentrisch, das Ruhrgebiet hingegen ist eine (polyzentrische) Konurbation.
Von der Ministerkonferenz für Raumordnung wurden elf Europäische Metropolregionen festgelegt. Diese gehen über die entsprechenden Agglomerationen weit hinaus. Köln/Düsseldorf/Dortmund/Essen gehören zur Metropolregion Rhein-Ruhr, Leipzig/Halle/Chemnitz zur Metropolregion Mitteldeutschland. Eine weitere ist die Metropolregion Rhein-Neckar um Ludwigshafen/Mannheim/Heidelberg.
Bevölkerungsreichste Siedlungsgebiete in Deutschland
| Siedlungsgebiet | Stadt* | Agglomeration | Metropolregion |
| |
---|---|---|---|---|---|---|
1 | Berlin | 3.613.495 | 4.400.000 | 6.000.000 | ||
2 | Hamburg | 1.830.584 | 2.600.000 | 5.000.185 | ||
3 | München | 1.456.039 | 2.000.000 | 5.200.000 | ||
4 | Köln | 1.080.394 | 1.900.000 | 11.690.000 | ||
5 | Frankfurt am Main | 746.878 | 1.930.000 | 5.520.000 | ||
6 | Stuttgart | 632.743 | 1.800.000 | 5.290.000 | ||
7 | Düsseldorf | 617.280 | 1.220.000 | 11.690.000 | ||
8 | Dortmund | 586.600 | 5.562.500 | 11.690.000 | ||
9 | Essen | 583.393 | 5.562.500 | 11.690.000 | ||
10 | Leipzig | 581.980 | 1.100.000 | 2.400.000 | ||
11 | Bremen | 568.006 | 850.000 | 2.730.000 | ||
12 | Dresden | 551.072 | 755.000 | 2.400.000 | ||
13 | Hannover | 535.061 | 1.132.000 | 3.880.000 | ||
14 | Nürnberg | 515.201 | 1.200.000 | 3.500.000 |
*)Stand: 31. Dezember 2017
Bevölkerung
Demografie
Jahr | Einwohnerzahl | Jahr | Einwohnerzahl |
---|---|---|---|
1950 | 69.346.000 | 1985 | 77.661.000 |
1955 | 71.350.000 | 1990 | 79.753.000 |
1960 | 73.147.000 | 1995 | 81.817.000 |
1965 | 76.336.000 | 2000 | 82.260.000 |
1970 | 78.069.000 | 2005 | 82.438.000 |
1975 | 78.465.000 | 2010 | 81.752.000 |
1980 | 78.397.000 | 2015 | 82.176.000 |
Nach Fortschreibung des Zensus 2011 lebten am 31. Dezember 2016 in Deutschland 82.521.653 Einwohner auf einer Fläche von 357.376 Quadratkilometern.[1] Das Land gehört mit rund 230 Menschen pro km² zu den dicht besiedelten Flächenstaaten.[2] 18,3 Prozent der Bevölkerung waren im Jahr 2015 unter 20 Jahre, 24,5 Prozent zwischen 20 und 40 Jahre und 29,8 Prozent zwischen 40 und 60 Jahre alt. Im Alter von 60 bis 80 Jahren waren 21,6 Prozent der Bevölkerung, darüber 5,8 Prozent.[38] Im Jahr 2015 lag das Durchschnittsalter bei 44,2 Jahren.[39] Deutschland war damit nach Japan die zweitälteste Gesellschaft der Welt.
Neben der Familie als der am häufigsten angestrebten Form des Zusammenlebens sind viele Lebensmodelle in der deutschen Gesellschaft vertreten.[40] Die Anzahl der lebend geborenen Kinder lag im Jahr 2015 bei 737.575, das war die höchste Geburtenzahl seit 15 Jahren. Dies entspricht einer Geburtenrate von 1,50 Kindern pro Frau bzw. 9,6 Geburten pro 1.000 Einwohner.[7] Im selben Zeitraum wurden 925.200 Sterbefälle registriert, etwa 11,2 Fälle pro 1.000 Einwohner.[41] In allen Jahren seit 1972 starben mehr als geboren wurden.
Daher wird die Orientierung zu einer familienfreundlichen, kinder- und nachwuchsfördernden Gesellschaft mit Mehrkindfamilien politisch angestrebt (Pronatalismus). Als zentrale Voraussetzung dafür werten Experten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bei fortgesetzt niedrigen Geburtenraten, insbesondere in Bevölkerungsschichten mit mittleren und höheren Bildungsabschlüssen, werden für Deutschland soziale, ökonomische und geopolitische Probleme vorhergesagt.[42]
Etwa 71,9 Millionen Personen (87,1 %) in Deutschland besaßen im Jahr 2017 die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Jahr 2017 hatten rund 18,9 Millionen Personen einen Migrationshintergrund (23 %).[43][44] Als Personen mit Migrationshintergrund zählten im Zensus 2011 alle Ausländer sowie alle Deutschen, die nach 1955 auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland zugewandert sind oder mindestens einen nach 1955 zugewanderten Elternteil haben. Unter ihnen bilden die Aussiedler und Spätaussiedler die größte Gruppe, gefolgt von Bürgern der Türkei, anderer Staaten der Europäischen Union und des ehemaligen Jugoslawien.[45] Zwischen 1950 und 2002 wurden insgesamt 4,3 Millionen Menschen, entweder im Land geboren oder lange dort lebend, auf eigenen Antrag eingebürgert.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) prognostizierte 2017, die Bevölkerung Deutschlands werde durch Einwanderung weiter wachsen und im Jahr 2035 rund 83,1 Mio. Menschen umfassen.[46]
Einwanderung
Rang | Nationalität | Bevölkerung |
---|---|---|
1. | Turkei Türkei | 1.483.515 |
2. | Polen Polen | 866.855 |
3. | Syrien Syrien | 698.950 |
4. | Italien Italien | 643.065 |
5. | Rumänien Rumänien | 622.780 |
6. | Kroatien Kroatien | 367.900 |
7. | Griechenland Griechenland | 362.245 |
8. | Bulgarien Bulgarien | 310.415 |
9. | Afghanistan Afghanistan | 251.640 |
10. | Russland Russland | 249.205 |
In Deutschland leben Einwanderer aus nahezu allen Ländern der Welt. Laut Ausländerzentralregister machte der Bevölkerungsteil ohne deutsche Staatsangehörigkeit am 31. Dezember 2017 etwa 12,9 Prozent (10,6 Millionen) aus[47] (2011: 8,5 Prozent, 6,9 Millionen[48]). Im Jahr 2017 hatten gemäß amtlicher Statistik etwa 23 Prozent der Bevölkerung (18,9 Millionen) einen Migrationshintergrund.[43] Dabei werden die ethnisch der deutschen Diaspora zugehörigen Spätaussiedler und Vertriebene, die ab 1949 im Bundesgebiet leben, im Zensus als Migranten geführt.
Die größte in Deutschland lebende Einwanderergruppe mit ausländischer Staatsbürgerschaft stellten im Jahr 2017 mit 1.483.515 Personen türkische Staatsangehörige (→ Türkeistämmige in Deutschland). Die Zahl der Personen mit türkischer Nationalität nimmt seit einigen Jahren kontinuierlich ab, da im Gegenzug vermehrt die deutsche Staatsbürgerschaft von Türkischstämmigen angenommen wird.[43] Aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union kamen rund 4,7 Millionen Einwanderer. Den größten Anteil haben dabei Polen (866.855), Italiener (643.065) und Rumänen (622.780). Der Anteil der Europäer aus Nicht-EU-Ländern erhöhte sich durch Migration insbesondere aus Ex-Jugoslawien und aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion in den 1990er-Jahren. Darüber hinaus lebten in Deutschland 2.184.410 Menschen mit einer asiatischen Staatsangehörigkeit (davon 698.950 aus Syrien, 251.640 aus Afghanistan, 237.365 aus dem Irak und 136.460 aus China) sowie 539.385 Menschen mit einer afrikanischen und 271.425 mit einer amerikanischen Staatsangehörigkeit (davon 117.730 aus den Vereinigten Staaten).[47] Im Jahr 2016 erwarben 110.883 Personen die deutsche Staatsbürgerschaft (2010: 101.570[49]) durch Einbürgerung; die meisten davon waren Türkeistämmige (15,2 %).[50]
Der Bevölkerungsanteil von Ausländern und Menschen mit Migrationshintergrund ist regional sehr unterschiedlich, wobei die höchsten Anteile in den Ballungsräumen des Westens sowie in Berlin erreicht werden, die niedrigsten in den ländlichen Gebieten Nordbayerns, Ost- und Norddeutschlands. 2015 waren Offenbach am Main (32,8 %), Frankfurt am Main (27,7 %), München (24,5 %) und Stuttgart (23,2 %) die kreisfreien Städte mit den höchsten Ausländeranteilen. Der Landkreis mit dem niedrigsten Ausländeranteil war Elbe-Elster (1,2 %).[48]
Die Zahl der polnischen Diaspora in Deutschland, die seit dem 19. Jahrhundert besteht („Ruhrpolen“), beläuft sich auf über zwei Millionen, die seit Generationen assimiliert sind.
Deutschland gilt de facto seit Jahren als Einwanderungsland[51] und war 2012 nach den Vereinigten Staaten das OECD-Land mit den zweitmeisten Einwanderern.[52] Einige Wissenschaftler sehen aus demografischen und wirtschaftlichen Gründen die Notwendigkeit höherer Zuwanderung gut ausgebildeter Fachkräfte und Akademiker, was durch eine Einwanderungspolitik nach Vorbildern wie Australien und Kanada mit einer transparenten und an den Fertigkeiten der Zuwanderer orientierten Steuerung erreicht werden könne.[53] Die Einwanderung mitsamt Familienzusammenführungen dürfe nicht zulasten der Sozialsysteme gehen.[54]
Sprachen
Die in Deutschland hauptsächlich verbreitete Sprache ist Deutsch (Hochdeutsch). Es wird als Standardsprache in den überregionalen Medien und als Schriftsprache verwendet; als Sprache des Alltags wird es in vielen Regionen fast ausschließlich gesprochen (oft regional leicht eingefärbt). Der Übergang zu den deutschen Dialekten ist fließend. Bei den Amtssprachen innerhalb Deutschlands ist Deutsch die wichtigste Verwaltungssprache.[55] Die Zuständigkeit liegt im Grundsatz in der Kulturhoheit der Länder, der Gesamtstaat legt solche Sprachen nur zur Erfüllung seiner eigenen Aufgaben fest. Sofern europäisches Recht anwendbar ist, können vor Gericht Anträge und Schriftstücke in jeder Amts- oder Gerichtssprache jedes Mitgliedslands der Europäischen Union gestellt werden. Angestammte nationale Minderheiten sind Dänen, Friesen, Sorben und Sinti und Roma. Einige Regional- und Minderheitensprachen dürfen als Amts-, Gesetzes- oder Gerichtssprachen verwendet werden. Grundlage ist die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, nach der Deutschland Niederdeutsch als Regionalsprache und folgende Minderheitensprachen anerkennt: Dänisch (etwa 50.000 Sprecher, sowohl Reichsdänisch, überwiegend in der Variante Sydslesvigdansk, als auch Sønderjysk), Friesisch (etwa 10.000, Nordfriesisch in Schleswig-Holstein, Saterfriesisch in Niedersachsen), Sorbisch (etwa 30.000, Obersorbisch in Sachsen, Niedersorbisch in Brandenburg), Romanes der Roma (etwa 200.000 in ganz Deutschland). Andere neue oder in Deutschland kaum noch gesprochene Minderheitensprachen wie Jiddisch oder die jenische Sprache wurden nicht in die Charta aufgenommen,[56] und Sprachen von Zuwanderern fallen ausdrücklich nicht unter die Charta.[57] Die von Gehörlosen verwendete Deutsche Gebärdensprache ist seit 2002 in Deutschland als eigenständige Sprache anerkannt. Weitere, früher verbreitete Sprachen wie Moselromanisch (im 11. Jahrhundert ausgestorben) und Polabisch (im 18. Jahrhundert ausgestorben) werden heute nicht mehr gesprochen.
Ob die niederdeutsche Sprache eigenständig ist oder eine Varietät des Deutschen, ist in der Sprachwissenschaft umstritten. Niederdeutsch hatte 2007 etwa 2,6 Millionen aktive Sprecher, passive Kenntnis hatten etwa drei Viertel der Bevölkerung des Sprachgebiets.[58] 2016 verstanden es knapp die Hälfte der Einwohner gut bis sehr gut, in Mecklenburg-Vorpommern 70 Prozent, in Schleswig-Holstein 60, in Niedersachsen knapp 50 Prozent. In diesen Bundesländern beherrschten die Sprache aktiv jeweils 20, 25 und 18 Prozent; in den Sprachgebieten Nordrhein-Westfalens und Sachsen-Anhalts waren es je 12, in Brandenburg 3 Prozent.[59] Norddeutsche verwenden die niederdeutsche Sprache oder regionale Mundarten tendenziell weniger ausgeprägt, während im mittel- und oberdeutschen Raum der Gebrauch der fränkischen, bairischen und alemannischen Mundarten selbst im akademischen Milieu verbreiteter ist.
Immer wieder brachten Zuwanderer ihre Sprachen mit, zum Beispiel die Römer in den Kolonien Germaniens, die Hunnen während der Völkerwanderung, die Hugenotten ab dem 17. Jahrhundert und die Ruhrpolen im 19. Jahrhundert. Während die Nachkommen der älteren Zuwanderungswellen sich inzwischen sprachlich weitgehend angepasst haben, verwenden Zuwanderer der vergangenen Jahrzehnte (etwa Gastarbeiter) untereinander neben dem Deutschen noch häufig ihre Muttersprache, vor allem Türkisch (etwa zwei Millionen). Daneben ist auch die russische Sprache verbreitet, unter jüdischen Kontingentflüchtlingen und unter Russlanddeutschen, zu denen nicht nur deutsche oder plautdietsche, sondern auch russische Muttersprachler gehören (drei bis vier Millionen). Auch die Zahl der Personen mit Polnisch als Alltagssprache wird relativ hoch vermutet.
Die an öffentlichen Schulen vorrangig gelehrte Fremdsprache ist Englisch. Zweite Fremdsprache ist häufig Französisch, Latein oder Spanisch, seltener Russisch oder Italienisch (Entscheidungshoheit der Länder).
Religionen
Geschichte
Wie der Großteil West- und Mitteleuropas ist das heutige Deutschland bis zur Spätantike zurückreichend christlich-abendländisch und seit dem 18. Jahrhundert aufgeklärt-wissenschaftlich geprägt. Dem liegen Einflüsse aus der antiken griechischen und römischen Kultur ebenso zugrunde wie jüdische und christliche Traditionen, die sich seit Beginn der Christianisierung Nordwesteuropas, ab etwa dem 4. Jahrhundert, mit germanischen Traditionen vermischt hatten. Das Gebiet des heutigen Deutschland wurde seit dem frühen Mittelalter christianisiert. In der fränkischen Zeit wurde im Reich Karls des Großen die Missionierung, teilweise durch Zwang, abgeschlossen. Mit Martin Luthers Thesenanschlag 1517 begann die christliche Reformation und in der Folge die Bildung protestantischer Konfessionen, die in Deutschland neben der katholischen Konfession die religiöse Landschaft prägen.
Verhältnis von Staat und Religion
Die Religionsfreiheit in Deutschland garantiert Art. 4 des Grundgesetzes, individuell als Grundrecht und institutionell im Verhältnis von Religion und Staat. So wird die weltanschauliche Neutralität des Staates und das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften festgeschrieben. Auf dieser Basis ist das Verhältnis von Religionsgemeinschaften und Staat partnerschaftlich; es gibt also keine strikte Trennung von Kirche und Staat, sondern in vielen sozialen und schulisch-kulturellen Bereichen bestehen Verflechtungen, beispielsweise über kirchliche, aber staatlich mitfinanzierte Trägerschaft von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Ebenso berufen sich einige deutsche Parteien auf die christliche Tradition des Landes. Die christlichen Kirchen besitzen den Status von Amtskirchen und sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, aufgrund des geltenden Staatskirchenrechts jedoch sui generis. Durch den verliehenen Körperschaftsstatus sollen den Kirchen bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt werden, ohne dass sie dabei einer Staatsaufsicht unterliegen; stattdessen wird sowohl der kirchliche Öffentlichkeitsauftrag teilweise in Kirchenverträgen mit den Ländern oder den entsprechenden Regelungen in den Landesverfassungen anerkannt wie auch die besondere, originäre Kirchengewalt rechtlich bekräftigt. Bestimmte christliche Kirchen sowie die jüdischen Gemeinden erheben eine Kirchensteuer, die der Staat gegen eine Aufwandsentschädigung einzieht und an die jeweiligen Kirchen (beziehungsweise an den Zentralrat der Juden in Deutschland) weiterleitet. Des Weiteren ist der Religionsunterricht laut Grundgesetz fakultatives, aber dennoch ordentliches Unterrichtsfach in den öffentlichen Schulen (mit Ausnahme von Bremen, Berlin und Brandenburg). Dieses Fach wird oft von einem Vertreter einer der beiden großen Kirchen unterrichtet.
Bevölkerungsanteile
Etwa 59 Prozent der Bevölkerung gehören einer christlichen Konfession an: römisch-katholische Kirche 28,9 Prozent (überwiegend in West- und Süddeutschland),[61]Evangelische Kirche in Deutschland (Lutheraner, Reformierte und Unierte) 27,1 Prozent (tendenziell vor allem in Norddeutschland);[61] andere christlichen Kirchen wie orthodoxe und altorientalische Kirchen, die Zeugen Jehovas, die neuapostolische Kirche und Freikirchen insgesamt ca. 3 Prozent.[61] Die Anzahl der Gottesdienstbesucher ist wesentlich geringer als die Anzahl der Kirchenmitglieder. An sogenannten Zählsonntagen besuchten 2016 die katholischen Gottesdienste 2,4 Millionen Menschen (2,9 Prozent der Gesamtbevölkerung)[62] und 0,8 Millionen (1 Prozent) jene der Evangelischen Kirche. An hohen kirchlichen Feiertagen, insbesondere zu Heiligabend, nehmen deutlich mehr Menschen an Gottesdiensten teil.[63]
Über ein Drittel der Gesamtbevölkerung ist konfessionslos. In den neuen Ländern liegt deren Anteil zwischen 68 (Thüringen) und 81 Prozent (Sachsen-Anhalt).[64] Die DDR hatte eine atheistische Weltanschauung propagiert und vermittelt (siehe Jugendweihe) und den Kirchenaustritt gefördert. Aufgrund langfristiger Prozesse der Säkularisierung und des Wertewandels stieg der Anteil von Konfessionslosen an der Gesamtbevölkerung auch in der alten Bundesrepublik an (1970: 3,9 %; 1987: 11,4 %). Diese Entwicklung setzte sich im vereinten Deutschland fort.[65]
Ende 2015 lebten etwa 4,5 Millionen Muslime in Deutschland. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt circa 5,5 Prozent, Über die Hälfte hat einen türkischen Migrationshintergrund, gut 17 Prozent kommen aus dem Nahen Osten. Zwischen 2011 und 2015 kamen 1,2 Millionen Muslime neu nach Deutschland.[66] Als Dachverband der vielen islamischen Organisationen und Ansprechpartner für Außenstehende wurde der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland gegründet.
Die Deutsche Buddhistische Union geht von etwa 270.000 Buddhisten in Deutschland aus. Die Hälfte davon sind eingewanderte Asiaten. Dies entspricht 0,3 Prozent der Bevölkerung.[61]
Etwa 200.000 Juden leben in Deutschland,[61] dies entspricht 0,25 Prozent der Bevölkerung. Davon sind etwa die Hälfte in jüdischen Gemeinden organisiert. Seit den 1990er-Jahren verzeichnen diese einen starken Zuwachs durch Zuwanderer aus den ehemaligen Ostblockstaaten, vor allem aus der Ukraine und Russland. Nach Frankreich und dem Vereinigten Königreich hat Deutschland die drittgrößte jüdische Gemeinschaft Europas.
Geschichte
Urgeschichte, Kelten, Germanen und Römer
Die ältesten Belege für die Anwesenheit der Gattung Homo auf deutschem Gebiet sind etwa 700.000 Jahre alt, von einer dauerhaften Anwesenheit zumindest im Süden geht man seit 500.000 v. Chr. aus. Nach dem Fundort in der Nähe der Stadt Heidelberg wurde der Homo heidelbergensis benannt. Die mindestens 300.000 Jahre alten Schöninger Speere sind die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit und haben das Bild der kulturellen und sozialen Entwicklung des frühen Menschen revolutioniert.
Auf die Neandertaler, nach einem Fundort im Neandertal, östlich von Düsseldorf, benannt, folgte vor etwa 40.000 Jahren der aus Afrika zugewanderte Homo sapiens, der anatomisch moderne Mensch. Die Neandertaler verschwanden zwar, doch ließ sich jüngst belegen, dass beide gemeinsame Nachkommen hatten. Die jungpaläolithische Kleinkunst ist die älteste bekannte Kunst der Menschheit.
Aus dem Nahen Osten kommende jungsteinzeitliche Bauern, die mit ihrem Vieh und ihren Kulturpflanzen über Anatolien und den Balkan zuwanderten (Linearbandkeramiker), verdrängten ab etwa 5700/5600 v. Chr. die Jäger und Sammler der Mittelsteinzeit aus der Südhälfte Deutschlands. Sie erreichten jedoch erst um 4000 v. Chr. auch Norddeutschland. Damit wurden zugleich die aneignenden Kulturen der Jäger, Sammler und Fischer von bäuerlichen, nun durchgehend sesshaften Kulturen abgelöst; als letzte Kultur der Jäger in Norddeutschland gilt die Ertebølle-Kultur.
Mit über 1000 Jahren Verzögerung begann auf deutschem Gebiet die Bronzezeit um 2200 v. Chr. Zu ihren bedeutendsten Funden zählt die Himmelsscheibe von Nebra. Mit Beginn der Hallstattzeit (1200–1000 v. Chr.) waren Süd- und Mitteldeutschland von Kelten besiedelt, als bedeutendstes Metall begann sich das Eisen durchzusetzen. Um 600 v. Chr. kam es in Norddeutschland zur Herausbildung der Jastorf-Kultur, die als germanische Kultur angesehen wird. „Germanen“ wurden im 1. Jahrhundert v. Chr. von antiken Autoren erstmals erwähnt und bezeichneten als ethnographischer Sammelbegriff kein einheitliches Volk.[67]
Von 58 v. Chr. bis etwa 455 n. Chr. gehörten die Gebiete links des Rheins und südlich der Donau zum Römischen Reich, von etwa 80 bis 260 n. Chr. auch ein Teil Hessens sowie der größte Teil des heutigen Baden-Württemberg südlich des Limes. Diese römischen Gebiete verteilten sich auf die Provinzen Gallia Belgica, Germania superior, Germania inferior, Raetia und Noricum. Dort gründeten die Römer Legionslager, eine Reihe von Städten wie Trier, Köln, Augsburg und Mainz – die ältesten Städte Deutschlands.
Verbündete germanische Stämme sicherten diese Provinzen, zudem wurden Siedler aus anderen Reichsteilen hier sesshaft. Versuche, den Einflussbereich weiter in germanisches Gebiet auszuweiten, scheiterten mit der Varusschlacht im Jahr 9 n. Chr. Die Bemühungen der Römer zur Errichtung von Provinzen bis zur Elbe endeten schließlich. Tacitus’ im Jahr 98 entstandene Schrift Germania ist die älteste Beschreibung der germanischen Stämme.
Völkerwanderung und Frühmittelalter (375–962)
Nach dem Einfall der Hunnen 375 setzte die Völkerwanderung ein, gleichzeitig bildeten sich im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter mehrere Großstämme heraus, nämlich die der Franken und Alamannen, Sachsen, Bayern und Thüringer. Im Zuge des Untergangs Westroms kam es zur Bildung germanisch-romanischer Nachfolgereiche. In weitgehend entvölkerten Gebiete des heutigen Ostdeutschlands wanderten im 7. Jahrhundert slawische Stämme ein. Erst im Zuge der hochmittelalterlichen Ostsiedlung wurden sie assimiliert. West- und Mitteleuropa wurde vom Ende des 5. Jahrhunderts entstandenen Frankenreich dominiert, das heutige Norddeutschland von den Sachsen und Slawen. Alle heute zu Deutschland gehörigen Gebiete des Frankenreichs lagen im östlichen Teilreich Austrien.
Mitte des 8. Jahrhunderts trat im Frankenreich Pippin der Jüngere aus der Dynastie der Karolinger die Königsnachfolge der Merowinger an. Nach der Unterwerfung und Zwangsmissionierung der Sachsen und Eroberungen in Italien, Nordspanien und im östlichen Grenzraum unter Karl dem Großen wurde das Vielvölkerreich neu organisiert. Kirchenorganisation und Kulturförderung knüpften partiell an römische Traditionen an (Karolingische Renaissance). Zu Weihnachten 800 ließ sich Karl vom Papst in Rom zum Kaiser krönen und erhob damit Anspruch auf die Nachfolge des Römischen Reiches (Translatio imperii), was zur Konkurrenz mit den byzantinischen Kaisern führte (Zweikaiserproblem). Nach Karls Tod 814 kam es zu Kämpfen unter seinen Nachkommen, die 843 im Vertrag von Verdun zur Dreiteilung des Reiches in das Ostfrankenreich unter „Ludwig dem Deutschen“, das Westfrankenreich und Lotharingien führten.
Im ostfränkischen Reich bildeten sich um 900 fünf große Herzogtümer heraus, nämlich die Stammesherzogtümer Sachsen, Baiern, Schwaben, Franken und Lothringen. Im 10. Jahrhundert starb die karolingische Dynastie in West- wie auch in Ostfranken aus, beide Reichsteile blieben politisch fortan getrennt. Die Schlacht auf dem Lechfeld beendete 955 jahrzehntelange Ungarneinfälle, führte zu einem Prestigegewinn König Ottos, der ab 962 Kaiser war, und zur Zuordnung des Erzengels Michael als Schutzpatron der Deutschen.
Vom Ostfrankenreich zum Heiligen Römischen Reich (962–1806)
Die Dynastie der Ottonen war für die Ausformung des Ostfrankenreichs wesentlich, sie gilt aber nicht mehr als Beginn der eigentlichen „deutschen“ Reichsgeschichte. Der damit verbundene Prozess zog sich vielmehr mindestens bis ins 11. Jahrhundert hin. Der Begriff regnum Teutonicorum („Königreich der Deutschen“) findet sich erstmals zu Beginn des 11. Jahrhunderts in den Quellen, er war aber nie Titel des Reiches (Imperium), sondern diente den Päpsten zur Relativierung des Herrschaftsanspruchs der römisch-deutschen Könige.[68]
Die 951 von Otto I. angenommene langobardische Königswürde verband das Regnum Teutonicum mit Reichsitalien. 962 wurde Otto zum Kaiser gekrönt und vereinte damit die römisch-deutsche Königswürde mit dem Anspruch auf das westliche „römische“ Kaisertum (Reichsidee). Dieses römisch-deutsche Reich nahm unter den Ottonen eine hegemoniale Stellung im westlichen Europa ein. 1024 traten die Salier die Königsnachfolge an, die bis zum Ende des Mittelalters stets an eine Wahl durch verschiedene Große des Reichs gekoppelt war. Die Verzahnung weltlicher und geistlicher Macht durch das Reichskirchensystem führte zum Investiturstreit mit dem reformierten Papsttum, zum Gang nach Canossa 1077 und zur Zwischenlösung des Wormser Konkordats 1122. Einen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst in staufischer Zeit, insbesondere unter Friedrich II., der im deutschen Reichsteil viele Regalien aufgab. Mit seinem Tod 1250 brach die staufische Königsherrschaft zusammen; das folgende Interregnum vergrößerte die Macht der Fürsten. Das Kaisertum bestand als politischer Ordnungsfaktor fort, verlor aber auf europäischer Ebene zunehmend an Einflussmöglichkeiten.
In Form der Territorialstaaten verselbstständigten sich zahlreiche Feudalherrschaften zu Lasten der königlich-kaiserlichen Macht, die aber nie stark ausgeprägt gewesen und deshalb auf konsensuale Herrschaft mit den Großen des Reiches angewiesen war. Kaiser Heinrich VI. war Ende des 12. Jahrhunderts mit dem Versuch gescheitert, durch den Erbreichsplan die Erbmonarchie einzuführen. Während sich das Westfrankenreich zum französischen Zentralstaat entwickelte, blieb das ostfränkische oder römisch-deutsche Reich durch Landesherren und das Recht der Königswahl geprägt. Mitte des 13. Jahrhunderts setzte sich im Heiligen Römischen Reich – die Bezeichnung Sacrum Imperium (Heiliges Reich) wurde bereits 1157 gebraucht, Sacrum Imperium Romanum (Heiliges Römisches Reich) erstmals gesichert 1254 – die Auffassung durch, dass einem Kollegium von Kurfürsten die Wahl des Königs zustehe, was durch die Goldene Bulle 1356 verbindlich festgeschrieben wurde. Bis zum Ende des Reiches 1806 blieb das Reich somit formal eine Wahlmonarchie. Obwohl die Kaiser wiederholt versuchten, ihre Position zu stärken, blieb das Reich ein supranationaler Verband vieler verschieden großer Territorien sowie Reichsstädte.
Das spätmittelalterliche 14. und 15. Jahrhundert war vom Wahlkönigtum geprägt: Drei große Familien – die Habsburger, die Luxemburger und die Wittelsbacher – verfügten über den größten Einfluss im Reich und über die größte Hausmacht. Als bedeutendster König gilt Karl IV., der eine geschickte Hausmachtpolitik betrieb. Trotz Krisen wie der Pest (Schwarzer Tod), der Agrarkrise und des abendländischen Schismas florierten die Städte und der Handel; es begann der Übergang in die Renaissance. Im Reich traten die Habsburger das Erbe der Luxemburger an, die 1437 in männlicher Linie ausstarben, und stellten bis zum Ende des Reichs fast kontinuierlich die römisch-deutschen Herrscher. Durch geschickte Politik sicherten sich die Habsburger zusätzliche Territorien im Reich und sogar die spanische Königskrone: Habsburg stieg damit zur europäischen Großmacht auf.
An der Wende zum 16. Jahrhundert scheiterte der Versuch weitgehend, durch eine umfassende Reichsreform frühneuzeitliche staatliche Strukturen herzustellen. Ab 1519 verfolgte Kaiser Karl V., zugleich spanischer König mit überseeischem Kolonialreich, das Konzept einer Universalmonarchie. Seine Vorherrschaft in Europa begründete den jahrhundertelangen habsburgisch-französischen Gegensatz. 1517 stieß Martin Luther durch Forderungen nach innerkirchlichen und theologischen Reformen und eine anti-päpstliche Haltung die Reformation an, was zur Herausbildung „protestantischer“ Konfessionen führte. Der Katholizismus reagierte mit der Gegenreformation, doch behauptete sich die evangelische Kirche in weiten Teilen des Reiches. Der Augsburger Religionsfrieden 1555 schaffte einen vorläufigen Ausgleich; Landesherren bestimmten die Konfession ihrer Untertanen (Cuius regio, eius religio). Konfessionelle und machtpolitische Gegensätze lösten den Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) mit vielen Todesopfern und verheerten Landschaften aus, beendet durch den Westfälischen Frieden, der dem Kaiser eine geschwächte, eher auf die Repräsentation des Reichs beschränkte Stellung zuwies (siehe Jüngster Reichsabschied). Die Reichsfürsten gingen gestärkt aus diesem Konflikt hervor; sie konnten mit auswärtigen Mächten Verträge abschließen. Das Reich wurde dadurch de facto zu einem Staatenbund, de jure blieb es ein monarchisch geführtes und ständisch geprägtes Herrschaftsgebilde. Ab 1663 erörterten Kaiser und Reichsfürsten ihre politischen Angelegenheiten durch Gesandte permanent (Immerwährender Reichstag).
Frankreich unter Ludwig XIV. besetzte mehrere Reichsterritorien in einer gezielten Expansion (Reunionspolitik) und wirkte als Vorbild des Absolutismus, der im Reich nicht die königliche Zentralgewalt, sondern einzelne Fürstentümer zu bürokratisch organisierten Staaten werden ließ. Manche Herrscher, insbesondere Friedrich II. von Preußen, öffneten sich dem philosophischen Zeitgeist und führten Reformen durch (Aufgeklärter Absolutismus). Der politische Aufstieg Preußens im 18. Jahrhundert führte zum Dualismus mit dem Hause Habsburg. Nach der Französischen Revolution besetzten deren Truppen das linke Rheinufer, und nach den weiteren Eroberungen Napoleon Bonapartes legte der letzte Kaiser Franz II. 1806 die Krone nieder, womit das Reich erlosch.
Rheinbund, Deutscher Bund, Norddeutscher Bund (1806–1871)
→ Hauptartikel: Rheinbund, Deutscher Bund, Deutsche Revolution 1848/1849 und Norddeutscher Bund
Unter Napoleons Einfluss war zwischen 1801 und 1806 die Anzahl der Staaten im Gebiet des „Alten Reiches“ von etwa 300 auf etwa 60 verringert worden. Den deutschen Westen und Nordwesten annektierte Frankreich und schuf deutsche Vasallenstaaten, deren Throne Napoleon mit Familienangehörigen besetzte (Großherzogtum Berg, Königreich Westphalen, Großherzogtum Frankfurt). Einige deutsche Staaten baute Napoleon zu Bündnispartnern auf, vor allem Bayern, Württemberg und Baden, indem er sie um die Gebiete der säkularisierten und mediatisierten Kleinstaaten erweiterte und im mit Frankreich verbündeten Rheinbund vereinigte. Dieser folgte mit den von Napoleon besiegten Gegnern Preußen und Österreich dem dadurch dreigeteilten, als Machtfaktor ausgeschalteten Heiligen Römischen Reich nach. Die „Franzosenzeit“ brachte den Rheinbundstaaten erhebliche Modernisierungsanstöße, unter anderem bürgerliche Freiheiten, durch die Einführung des Zivilrechtsbuchs Code Napoléon. Auch in Preußen wurden ab 1806 tiefgreifende Reformen unternommen, um aus Untertanen Staatsbürger und den Staat wieder handlungs- und wehrfähig zu machen.
Ab 1809 regte sich Widerstand gegen französische Besatzung und Herrschaft; diverse Aufstände, etwa von Andreas Hofer in Tirol und Ferdinand von Schill in Preußen, wurden zunächst niedergeschlagen. Nach Napoleons Niederlage im Russlandfeldzug 1812 begannen Preußen und Österreich im Bündnis mit dem Russischen Reich die Befreiungskriege (1813–1815), die den Deutschen ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl brachten, zunächst unter protestantischen Akademikern, etwa im Lützower Freikorps, das auch als Ursprung der Farben Schwarz-Rot-Gold gilt. Die meisten Rheinbundstaaten schlossen sich den Verbündeten an, die nach dem Sieg bei der Leipziger Völkerschlacht 1813 Napoleon bis 1815 endgültig besiegten.
Anschließend restaurierte der Wiener Kongress (1814–1815) weitgehend die monarchische Herrschaft. Im Deutschen Bund, einem von Österreich und Preußen dominierten Staatenbund, organisierten sich 38 Staaten (→ Drittes Deutschland) mit dem Frankfurter Bundestag als Entscheidungsgremium. 1833/1834 wurde der Deutsche Zollverein unter preußischer Vormacht geschaffen. Im Vormärz unterdrückte die alte Herrschaftselite das wirtschaftlich erstarkende Bürgertum (Demagogenverfolgung), das weiter politische Teilhabe und die Bildung eines Nationalstaats forderte, so 1817 beim studentischen Wartburgfest und 1832 beim Hambacher Fest mit dem Hissen von Schwarz-Rot-Gold, den späteren Nationalfarben.
Mit der bürgerlichen Märzrevolution 1848 mussten viele konservative Politiker abtreten, unter ihnen der epochenprägende österreichische Staatskanzler Fürst Metternich. Unter dem Revolutionsdruck in Berlin akzeptierte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die Einrichtung der Frankfurter Nationalversammlung. Deren Paulskirchenverfassung, die einen deutschen Nationalstaat als „Deutsches Reich“ mit konstitutioneller Monarchie geschaffen hätte, lehnte er jedoch ebenso ab wie die ihm angetragene Kaiserkrone, die er als bürgerliche „Lumpenkrone“ bezeichnete. Nach Niederschlagung des Maiaufstands endete die Revolution am 23. Juli 1849 mit der Einnahme der Festung Rastatt durch preußische Truppen. Das Scheitern der demokratischen Bewegung führte zu Flucht und Auswanderung der „Forty-Eighters“ und zu einer Reaktionsära in den deutschen Staaten.
Bald danach brach der Konflikt Preußens mit Österreich um die Vormacht im Deutschen Bund auf (deutscher Dualismus), der in Preußens Sieg im Deutschen Krieg 1866 endete. Der Deutsche Bund wurde aufgelöst, Preußen annektierte etliche Gebiete nord- und mitteldeutscher Kriegsgegner. 1866 wurde unter Vorherrschaft Preußens der Norddeutsche Bund zunächst als Militärbündnis gegründet. Seine Verfassung von 1867 machte ihn zum souveränen Bundesstaat und leitete die kleindeutsche Lösung ein – also eine deutsche Gesamtstaatsbildung ohne Österreich.
Deutsches Kaiserreich (1871–1918)
Das Deutsche Reich als erster deutscher Nationalstaat wurde im Deutsch-Französischen Krieg am 18. Januar 1871 gegründet, indem der preußische König Wilhelm I. im Spiegelsaal von Versailles zum ersten Deutschen Kaiser ausgerufen wurde. Neben den süddeutschen Staaten wurden die überwiegend polnischsprachige Provinz Posen, das teils dänischsprachige Schleswig und teils deutschsprachige Gebiete Frankreichs, das Reichsland Elsaß-Lothringen, eingegliedert.
Otto von Bismarck hatte als preußischer Ministerpräsident die Reichsgründung betrieben und wurde erster Reichskanzler. Seine Politik stützte die Macht der konstitutionellen Monarchie, war aber auch auf Modernisierung ausgelegt und ambivalent; Gesetze zur Schule und Zivilehe waren teils liberal. Für den Reichstag galt ein allgemeines Wahlrecht (für Männer). Gegen die katholische Kirche führte Bismarck den Kulturkampf, gegen die Sozialdemokratie erließ er ab 1878 die Sozialistengesetze und versuchte, die Arbeiter durch eine Sozialgesetzgebung an den Staat zu binden. Die Hochindustrialisierung in Deutschland sorgte für Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, Landflucht und eine breite Steigerung des Lebensstandards; Deutschland stieg zur größten Volkswirtschaft Europas auf.
Bismarcks Außenpolitik sah in einem defensiven Bündnissystem die Isolierung Frankreichs mit Deutschland als halbhegemonialer Macht in der Mitte Europas vor. Nachdem deutsche Kaufleute und Vereine private Kolonialpolitik betrieben hatten, wurde das Reich auf der Berliner Kongokonferenz 1884 trotz Bismarcks Skepsis zur Kolonialmacht. Im „Dreikaiserjahr“ 1888 kam Wilhelm II. an die Macht, forderte für das wirtschaftlich und militärisch aufgestiegene Deutsche Reich die Anerkennung der bisherigen Großmächte („Platz an der Sonne“) und bemühte sich um Kolonienerwerb und Flottenaufbau im Imperialismus. Das herausgeforderte England schloss daraufhin in einem neuen Bündnissystem (Triple Entente) statt Frankreich nun Deutschland aus. Diese Spannungen lösten 1914 den Ersten Weltkrieg aus, einen verlustreichen Mehrfrontenkrieg; mehr als zwei Millionen deutsche Soldaten starben, rund 800.000 Zivilisten verhungerten.
Weimarer Republik (1919–1933)
Mit der Novemberrevolution und der Ausrufung der Republik am 9. November 1918 endete die Monarchie im Deutschen Reich, das mit seiner Kapitulation die Niederlage im Ersten Weltkrieg einräumte. Nach der Wahl der verfassunggebenden Nationalversammlung – bei der erstmals Frauen aktiv und passiv wahlberechtigt waren – trat die Weimarer Verfassung am 14. August 1919 in Kraft. Im Friedensvertrag von Versailles wurden erhebliche Gebietsabtretungen, die Alliierte Rheinlandbesetzung und Reparationen auf Grundlage einer festgeschriebenen deutschen Alleinschuld am Krieg bestimmt. Diese Ausgangslage belastete das politische Klima; Rechtsextreme verbreiteten die Dolchstoßlegende gegen die „Novemberverbrecher“, was zu politischen Morden und Putschversuchen führte (Kapp-Putsch 1920 und Hitlerputsch 1923). Auch kommunistische Aufstände wie der Ruhraufstand 1920, die Märzkämpfe in Mitteldeutschland 1921 und der Hamburger Aufstand 1923 sorgten für Instabilität. Unzureichende Reparationsleistungen nahmen Belgien und Frankreich zum Anlass, in den Jahren 1923 bis 1925 auch das Ruhrgebiet zu besetzen.
In den kurzen „goldenen Zwanzigern“ blühte die Kultur und ab 1924 auch die Konjunktur. Berlin war mit über vier Millionen Einwohnern die drittgrößte und eine der dynamischsten Städte der Welt. Die Prosperität endete 1929 mit der Weltwirtschaftskrise, auf deren Höhepunkt 1932 es in Deutschland mehr als sechs Millionen Arbeitslose gab, die größtenteils in Elend lebten. Radikale Parteien fanden starken Zulauf, sodass es für die gemäßigten Parteien zunehmend schwieriger wurde, stabile Regierungen zu bilden. Nach dem Erdrutschsieg der Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl 1930 verfügten die in rascher Folge wechselnden Reichskanzler über keine parlamentarische Mehrheit mehr; ihre Präsidialkabinette waren vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und dessen Notverordnungen abhängig. Die Deflationspolitik des Reichskanzlers Heinrich Brüning verschärfte die wirtschaftliche Krise. Dessen Nachfolger Franz von Papen (Juni–November 1932) unterstellte die demokratische Regierung Preußens einem Reichskommissar („Preußenschlag“) und ließ Neuwahlen abhalten, bei denen die Nationalsozialisten noch stärker wurden.
Reichskanzler Kurt von Schleicher versuchte durch eine „Querfront“ von Gewerkschaften und Teilen der Nationalsozialisten eine Machtübernahme Adolf Hitlers zu verhindern, von Papen aber überredete den widerwilligen Hindenburg, Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler zu ernennen. Am 27. Februar kam es zum – bis heute unaufgeklärten – Reichstagsbrand, den Hitler zu einer Verordnung nutzte, auf unbestimmte Zeit die Grundrechte außer Kraft zu setzen. Die folgenden Massenverhaftungen politischer Gegner, insbesondere von Kommunisten und Sozialdemokraten, prägten die Reichstagswahl 1933, bei der die NSDAP die absolute Mehrheit knapp verfehlte und mit der reaktionären DNVP weiterregierte. Die endgültige Machtübernahme erfolgte fünf Tage später, als der Reichstag mit den Stimmen der bürgerlichen Parteien, allein gegen die Stimmen der SPD, das Ermächtigungsgesetz verabschiedete und damit Hitlers Regierung auch die Gesetzgebung überließ.
Nationalsozialistische Diktatur (1933–1945)
Die NSDAP errichtete im Deutschen Reich innerhalb kürzester Zeit einen totalitären Einparteienstaat unter Führung Adolf Hitlers und der Gleichschaltung des Staatsapparats. Missliebige Personen und politische Gegner, insbesondere Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, wurden aus allen Behörden entfernt, erste Konzentrationslager wurden errichtet, Bücher verbrannt und Kunst für „entartet“ erklärt. NS-Propaganda durchdrang auch das Privatleben; bereits auf Kinder wurde Druck ausgeübt, den Parteiorganisationen beizutreten. Im Oktober 1933 verkündete Hitler den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. Er sicherte seine Herrschaft im Inneren, indem er auch innerparteiliche Gegner und ehemalige Weggefährten ermorden ließ, insbesondere in der Nacht der langen Messer am 30. Juni 1934, nach der er die SA zugunsten der ihm bedingungslos ergebenen SS entmachtete. Die Generalität der Reichswehr legte auf ihn persönlich ihren Treueeid ab. Die Gestapo wurde als politische Polizei zur Bekämpfung der politischen und ideologischen Gegner eingesetzt.
Von Beginn an hatte Hitler zwei Ziele, einen Angriffs- und Vernichtungskrieg zur Schaffung von „Lebensraum im Osten“ und die Verfolgung der Juden, die mit Diskriminierung, Demütigung und Ausgrenzung begann und im Holocaust endete. 1934 begann die Ausrichtung der Wirtschaft auf Kriegsrüstung mittels Arbeitsprogrammen, einer enthemmt expansiven Geldpolitik und Schuldenwirtschaft. Die Senkung der Arbeitslosigkeit wurde von der Bevölkerung als Einlösung wirtschaftlicher Versprechen begrüßt. Die deutschen Juden wurden immer schlechter gestellt; die Nürnberger Gesetze 1935 bestraften Beziehungen zwischen „Ariern“ und Juden als „Rassenschande“ schwer. Juden verloren alle öffentlichen Ämter, wurden willkürlich verfolgt, bestohlen und erpresst und schließlich mit einem völligen Berufsverbot belegt, alle Unternehmen wurden enteignet („Arisierung“). Immer häufiger wurden auch Juden in Konzentrationslager eingewiesen. Viele fassten den Entschluss zur Emigration, die meisten aber blieben in Deutschland.
Die rassistische NS-Ideologie zur Schaffung einer „gesunden“ „Volksgemeinschaft“ (vgl. Herrenrasse) richtete sich gegen zwei weitere Gruppen, Roma und Slawen. Nicht als „fremdrassig“, aber als die „Gesundheit“ des „Volkskörpers“ bedrohend drangsalierten und ermordeten sie auch Homosexuelle, Behinderte und „Asoziale“. Zugleich feierte das Regime Propagandaerfolge; 1936 verbesserten die Olympischen Spiele das Ansehen im Ausland, das entmilitarisierte Rheinland wurde besetzt. Die Expansion begann mit dem „Anschluss“ Österreichs 1938, woraufhin Deutschland als „Großdeutsches Reich“ bezeichnet wurde, und der Annexion zuerst des Sudetenlandes und dann im März 1939 des restlichen Tschechien, was die bisherige Appeasement-Politik des westlichen Europa gegenüber Hitler als Fehler offenbarte.
Nachdem das Deutsche Reich am 1. September 1939 den Überfall auf Polen begonnen hatte, erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg. Der Zweite Weltkrieg forderte in sechs Jahren etwa 55 bis 60 Millionen Tote. Deutschland gelangen zunächst einige als Blitzkrieg bezeichnete militärische Erfolge. Polen wurde im Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin aufgeteilt, die Wehrmacht warf anschließend ihre Armeen nach Westen, überfiel die neutralen Staaten Luxemburg, Belgien und Niederlande und besetzte 1940 innerhalb von sechs Wochen Frankreich. Hitlers Popularität erreichte ihren Höhepunkt.
Mit Kriegsbeginn verschlechterte sich auch die Lage der Juden und der anderen Verfolgten. Die Ausreise wurde verboten, die Juden wurden in Ghettos gezwungen und mussten den „Judenstern“ tragen. Unter unzureichender Verpflegung und Seuchen starben viele bei der Zwangsarbeit. Im Jahre 1941 begann die systematische Ermordung der Juden. Die mit der Ausführung vor allem beauftragte SS errichtete auf ehemals polnischem oder sowjetischem Gebiet Vernichtungslager, in denen die meisten Opfer, in Viehwaggons herangebracht, sofort vergast wurden (siehe Aktion Reinhardt). Allein in Auschwitz-Birkenau wurden auf diese Art über eine Million Menschen ermordet. Insgesamt beläuft sich die Zahl der ermordeten Juden auf 6,3 Millionen.
Zwischenzeitlich hatte Hitler der Sowjetunion den Krieg erklärt (Russlandfeldzug 1941–1945). Ab Juni 1941 marschierte das Heer auf Moskau vor und wurde erst im Dezember gestoppt. Nachdem der Kriegsverbündete Japan im selben Monat die amerikanische Marine in Pearl Harbor überfallen hatte, erklärte Deutschland auch den Vereinigten Staaten den Krieg. Mangelnde Ressourcen und die Übermacht des Gegners ließen bald die Kriegswende eintreten, die sich in der verlorenen Schlacht von Stalingrad mit der völligen Aufreibung der deutschen 6. Armee manifestierte. Je unvermeidlicher die Niederlage wurde, desto härter wurde die Politik nach innen geführt. Im 1943 proklamierten „totalen Krieg“ wurde die gesamte Produktion auf den Krieg ausgerichtet, während die deutschen Armeen an fast allen Fronten zurückwichen und zahlreiche deutsche Städte durch den Bombenkrieg zerstört wurden. Als sowjetische Armeen schon Berlin eingenommen hatten, nahm sich Hitler am 30. April 1945 im Führerbunker das Leben. Die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht folgte am 8. Mai, die letzte Reichsregierung wurde in Flensburg-Mürwik am 23. Mai 1945 verhaftet. Die überlebenden politischen und militärischen Hauptverantwortlichen wurden in den Nürnberger Prozessen verurteilt.
Alliierte Besatzung (1945–1949)
Deutschland wurde in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 aufgeteilt; am 5. Juni 1945 legten die vier Siegermächte – USA, UdSSR, Großbritannien und schließlich auch Frankreich – Besatzungszonen fest und übten sodann westlich der Oder-Neiße-Linie die Hoheitsgewalt in ihrer jeweiligen Zone und gemeinsam mittels einer Alliierten Kommandantur über Groß-Berlin aus. Die deutschen Ostgebiete, ein Viertel der Reichsfläche, wurden durch das Potsdamer Abkommen ausgegliedert und auf Betreiben Stalins großenteils unter polnische und im nördlichen Ostpreußen unter sowjetische Verwaltung gestellt (Oblast Kaliningrad). Die Westmächte billigten dieses Vorgehen widerstrebend; die meisten deutschen Bewohner dieser Gebiete wurden vertrieben, ein Fünftel der früheren Reichsbevölkerung. Die Republik Österreich wurde in den Grenzen von 1938 wiederhergestellt. 1946/1947 wurde das Saarland aus dem Besatzungsgebiet ausgegliedert und unter direkte französische Verwaltung gestellt.
Die Vier Mächte bemühten sich anfangs noch um eine gemeinsame Besatzungspolitik. Einig war man sich über eine Demilitarisierung und die sogenannte Entnazifizierung; schon bei der Frage, was unter Demokratie zu verstehen sei, zeigten sich Differenzen zwischen der Sowjetunion und den Westmächten, die sich im beginnenden Kalten Krieg verschärften. In den drei Westzonen stellten die Westalliierten die für den Wiederaufbau bedeutende Montanindustrie unter das Ruhrstatut. Mit der Währungsreform im Juni 1948 und der zeitgleichen Aufhebung der Preisbindung und Bewirtschaftung setzte der Wirtschaftsdirektor der Westzonen Ludwig Erhard eine vor allem psychologisch bedeutsame wirtschaftliche Zäsur; mit der wenige Tage später folgenden Währungsreform in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands und der Berlin-Blockade durch die UdSSR vertiefte sich die Trennung zwischen Ost und West.
Bundesrepublik Deutschland und DDR (1949–1990)
Die Bundesrepublik Deutschland wurde am 23. Mai 1949 in den drei westlichen Besatzungszonen gegründet und das Grundgesetz als provisorische Verfassung in Kraft gesetzt, dessen Präambel ein Wiedervereinigungsgebot enthielt; Bonn wurde Hauptstadt. In der sowjetischen Besatzungszone wurde am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gegründet. Beide Teilstaaten sahen sich jeweils in Kontinuität eines gesamtdeutschen Staates und erkannten den jeweils anderen nicht an.[69] Beide blieben unter Kontrolle der Besatzungsmächte. Mit der Integration in die entgegengesetzten Militärbündnisse NATO und Warschauer Pakt erhielten sie 1955 ihre Unabhängigkeit (siehe Pariser Verträge, Souveränitätserklärung der UdSSR für die DDR). Bei den Alliierten verblieben die Verantwortung für Deutschland als Ganzes und ihre Rechte in Berlin.
Während in der DDR eine staatlich gelenkte Planwirtschaft errichtet wurde, entschied sich die Bundesrepublik für eine soziale Marktwirtschaft mit geringem staatlichem Einfluss. Die sowjetische Besatzungsmacht sorgte mit hohen Reparationsforderungen (vor allem Demontagen) für schwierige Startbedingungen auf dem Gebiet der DDR, während in der Bundesrepublik mit ausländischer Hilfe (Marshallplan) ein „Wirtschaftswunder“ einsetzte, das zu anhaltend hohen Wachstumsraten, Vollbeschäftigung und Wohlstand führte.
Der Eiserne Vorhang durch Mitteleuropa teilte auch Deutschland; die fortgesetzte Auswanderung besonders Junger und Hochqualifizierter ließ die DDR die innerdeutsche Grenze zunehmend abriegeln, bis sie 1961 unter dem langjährigen SED-Generalsekretär Walter Ulbricht durch den Bau der Berliner Mauer vollständig geschlossen wurde, was selbst familiäre Kontakte zwischen West- und Ostdeutschland stark erschwerte. Wer die Republikflucht trotzdem versuchte, wurde gewaltsam aufgehalten (siehe Schießbefehl, Grenz- und Mauertote).
Außenpolitisch setzte der langjährige Bundeskanzler Konrad Adenauer für die teilsouveräne Bundesrepublik die Westintegration und die Beteiligung am wirtschaftlichen Zusammenschluss Westeuropas durch, der mit der Montanunion 1952 begann. Der Élysée-Vertrag 1963 begründete die deutsch-französische Freundschaft als Motor der europäischen Integration. Die DDR wurde im September 1950 Vollmitglied im östlichen Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW).
Im Innern der DDR wurde durch die Staatspartei SED und durch Massenorganisationen wie die FDJ der Sozialismus verbindlich festgeschrieben; freie Wahlen gab es nicht mehr, der Aufstand vom 17. Juni 1953 wurde niedergeschlagen. Abweichende Meinungen wurden durch Zensur und die umfassende Überwachung der Geheimpolizei Staatssicherheit verfolgt; dagegen bildete sich Protest in einer Dissidenten- und Bürgerrechtlerbewegung, die sich durch die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 radikalisierte. In der sich durch Westernisierung liberalisierenden Bundesrepublik verstärkten sich Forderungen nach einem gesellschaftlichen Wandel und nach Vergangenheitsbewältigung, da die NS-Eliten weitgehend unbehelligt geblieben waren – insbesondere durch die westdeutsche Studentenbewegung der 1960er-Jahre. Gegen die 1966 gebildete Große Koalition mit ihren Notstandsgesetzen entstand eine außerparlamentarische Opposition. Die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt baute ab 1969 den Sozialstaat und gesellschaftliche Freiheiten aus; die auf Entspannung mit Osteuropa zielende „Neue Ostpolitik“ brachte Brandt 1971 den Friedensnobelpreis und Kritik von konservativer Seite ein.
Im Jahr 1973 wurden Bundesrepublik und DDR Mitgliedstaaten der UNO. Die Planwirtschaft der DDR hatte neben zunehmenden Versorgungsproblemen (Mangelwirtschaft) mit der demographischen Entwicklung zu kämpfen, der der von 1971 bis 1989 regierende Erich Honecker durch massive Familienförderung begegnete. Die Frauen- und Familienpolitik der DDR gilt ebenso wie die erreichte soziale Gleichheit und Sicherheit als teilweise erfolgreich. Die 1970er-Jahre waren in der Bundesrepublik durch steigende Verschuldung und Arbeitslosigkeit nach der Ölkrise und dem Terror der linksradikalen Rote Armee Fraktion geprägt. Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) verlor wegen seiner Unterstützung des NATO-Doppelbeschlusses – angegriffen von der Friedensbewegung, Teil der entstehenden Neuen Sozialen Bewegungen – den internen Rückhalt und wurde 1982 von Helmut Kohl (CDU) abgelöst, der 1989 die Chance zur Wiedervereinigung Deutschlands ergriff.
Die Unzufriedenheit der DDR-Bevölkerung war im ständigen, durch das Westfernsehen unterstützten Systemvergleich angewachsen. Ende der 1980er-Jahre bildete sich mit der Reformpolitik Michail Gorbatschows in der Sowjetunion auch in der DDR eine Protestbewegung, die in der maroden DDR im Herbst 1989 durch eine Ausreisebewegung über den löchrig gewordenen Eisernen Vorgang und durch Massendemonstrationen die politische Führung unter Druck setzte („Wir sind das Volk“) und zum Rücktritt Honeckers führte. Am 9. November 1989 ließ die DDR-Führung die Berliner Mauer nach einem Massenansturm auf die Grenzübertrittsstellen öffnen und gewährte Reisefreiheit, Kohl lenkte die Entwicklung ab seinem Zehn-Punkte-Programm Ende November in Richtung nationaler Einheit („Wir sind ein Volk“) unter Erhaltung der militärischen und politischen Westbindung. Bei der ersten freien Volkskammerwahl vom 18. März 1990 gewann das von der Ost-CDU geführte Parteienbündnis „Allianz für Deutschland“, das auf eine schnelle Wiedervereinigung setzte. Diese wurde in den nächsten Monaten im Einigungsvertrag und mit den Vertretern der Alliierten im Rahmen der „Zwei-plus-Vier-Gespräche“ ausgehandelt.
Wiedervereinigtes Deutschland (seit 1990)
Die deutsche Wiedervereinigung wurde am 3. Oktober 1990 mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland vollzogen; dieser Tag der Deutschen Einheit wurde Nationalfeiertag. Der 1991 in Kraft getretene Zwei-plus-Vier-Vertrag regelte die deutsche Frage endgültig: Die Vier Mächte gaben ihre Hoheitsbefugnisse auf, bis Ende 1994 verließen deren Truppen das Land, das wiedervereinigte Deutschland erhielt die volle staatliche Souveränität. Es verpflichtete sich zur Abrüstung auf maximal 370.000 Soldaten. Mit dem am 14. November 1990 in Warschau unterzeichneten deutsch-polnischen Grenzvertrag erkannte Deutschland die Oder-Neiße-Grenze an; das Territorium östlich davon wurde damit völkerrechtlich endgültig polnisch. Das wurde durch eine Politik der Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn ergänzt, zuerst 1991 mit Polen, dann 1997 mit Tschechien. Außenpolitisch setzte sich Regierung unter Bundeskanzler Kohl für eine vertiefte Integration mit Bildung der Europäischen Union, der EU-Osterweiterung und der Euro-Einführung ein.
Der Bundestag machte 1991 Berlin zur Hauptstadt, in die Regierung und Parlament 1999 zogen (siehe Reichstagsgebäude und Regierungsviertel). Nach kurzem Wiedervereinigungboom waren die 1990er-Jahre von wirtschaftlicher Stagnation, Massenarbeitslosigkeit und „Reformstau“ geprägt. Insbesondere die neuen Länder entwickelten sich nach der Einführung der Marktwirtschaft nicht so schnell wie erhofft („blühende Landschaften“). 1991 bis 1993 kam es zu einer Welle von Ausschreitungen gegen Asylbewerber. Erst in den 2000er-Jahren stabilisierten sich die neuen Länder sozial und wirtschaftlich.
Bei der Bundestagswahl 1998 verlor Kohls schwarz-gelbe Koalition ihre Bundestagsmehrheit, die bisherigen Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen bildeten die erste rot-grüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, die tiefgreifende Veränderungen in der Sozial-, Renten- und Gesundheitspolitik (Agenda 2010) durchsetzte. Ökologie erhielt stärkeres Gewicht, etwa mit dem Beginn des Atomausstiegs. Zu den gesellschaftspolitischen Liberalisierungen zählten das Lebenspartnerschaftsgesetz und ein neues Staatsbürgerschaftsrecht. Der erste Kampfeinsatz deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg – 1999 im Kosovokrieg – markierte einen Wendepunkt der Außenpolitik. Nach 9/11 sicherte Schröder den USA die „uneingeschränkte Solidarität“ zu; Deutschland nahm am Krieg in Afghanistan teil, aber nicht am Irakkrieg, was den „Friedenskanzler“ Schröder populär machte.
Die Hartz-IV-Arbeitsmarktgesetzgebung von 2004, die Leistungen reduzierte und individuelle Fördermaßnahmen ausbaute, wurde von vielen als ungerecht empfunden. Das führte zu deutschlandweiten Protesten und einer vorgezogenen Bundestagswahl 2005, woraufhin Angela Merkel (CDU) Bundeskanzlerin wurde. Ihre Große Koalition war mit dem Zusammenbruch von Banken und der Wirtschaftsleistung in der Finanzkrise ab 2007 konfrontiert. Seit 2010 ist Deutschland an den Stützungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Staatsschuldenkrise im Euroraum beteiligt. Die Globale Überwachungs- und Spionageaffäre und die Flüchtlingskrise in Europa ab 2015 waren die wichtigsten Herausforderungen der letzten Jahre; 2015 wurden etwa 1,1 Millionen Flüchtlinge in Deutschland registriert. EU-skeptische, islamfeindliche und rechtspopulistische Bewegungen wie PEGIDA und die Partei Alternative für Deutschland erstarkten zeitweilig.
Politik
Staatsgründung
Die Bundesrepublik Deutschland ist als Staat und Völkerrechtssubjekt nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts identisch mit dem Deutschen Reich und seinem Vorläufer, dem Norddeutschen Bund, und steht damit seit 1867 in einer staatlichen Kontinuität (siehe Rechtslage Deutschlands nach 1945). Die historisch verschiedenen Verfassungen geben Auskunft über das Selbstverständnis des jeweiligen Staates. Nachdem Deutschland 1945 von den Vier Mächten, den Siegermächten des Weltkriegs, besetzt worden war, wurde das Grundgesetz der in Westdeutschland entstandenen Bundesrepublik am 23. Mai 1949 verkündet und zum Folgetag in Kraft gesetzt. Es war durch die deutsche Teilung und bis 1955 durch das Besatzungsstatut in seinem Geltungsbereich beschränkt. Im östlichen Teil Deutschlands wurde 1949 die DDR als eigener Staat gegründet und erhielt eine Verfassung, die 1968 ersetzt und 1974 revidiert wurde. Den provisorischen Charakter verlor das Grundgesetz mit der Wiedervereinigung, indem die DDR seinem Geltungsbereich zum 3. Oktober 1990 beitrat. Mit dem Ende der Viermächteverantwortung erlangte das vereinte Deutschland volle Souveränität.
Politisches System
Das Grundgesetz (GG) ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Staatsoberhaupt ist der Bundespräsident mit vor allem repräsentativen Aufgaben. Im protokollarischen Rang folgen ihm der Präsident des Deutschen Bundestages, der Bundeskanzler und der jeweils amtierende Präsident des Bundesrates, der den Bundespräsidenten vertritt. Hauptstadt und Regierungssitz ist Berlin.
Artikel 20 GG legt – durch die Ewigkeitsklausel gesichert – fest, dass Deutschland als demokratischer, sozialer Rechtsstaat und föderativ organisiert sein muss. Regierungssystem ist eine parlamentarische Demokratie. Die Bundesstaatlichkeit ist in zwei Ebenen im politischen System gegliedert: die Bundesebene, die den Gesamtstaat Deutschland nach außen vertritt, und die Länderebene, die in jedem der 16 Bundesländer existiert. Jede Ebene besitzt eigene Staatsorgane der Exekutive (ausführende Gewalt), Legislative (gesetzgebende Gewalt) und Judikative (rechtsprechende Gewalt). Die Länder wiederum bestimmen die Ordnung ihrer Städte und Gemeinden; beispielsweise sind fünf Länder in insgesamt 22 Regierungsbezirke untergliedert. Die Länder haben sich eigene Verfassungen gegeben; ihnen kommt grundsätzlich Staatsqualität zu, sie sind jedoch beschränkte Völkerrechtssubjekte, die nur mit Einwilligung der Bundesregierung eigene Verträge mit anderen Staaten eingehen dürfen (Art. 32 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 GG). Die Bundesrepublik kann als die staatsrechtliche Verbindung ihrer Bundesländer angesehen werden und erhält erst dadurch Staatscharakter, ist also Bundesstaat im eigentlichen Sinne.
Gesetzgebungsorgane des Bundes sind der Deutsche Bundestag und der Bundesrat. Bundesgesetze werden vom Bundestag mit einfacher Mehrheit beschlossen. Sie werden wirksam, wenn der Bundesrat keinen Einspruch eingelegt oder zugestimmt hat (Art. 77 GG). Eine Änderung des Grundgesetzes ist nur mit der Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Bundestages und des Bundesrates möglich (Art. 79 Abs. 2 GG). In den Bundesländern entscheiden die Landesparlamente über die Gesetze ihres Landes. Obwohl die Abgeordneten nach dem Grundgesetz nicht weisungsgebunden sind (Art. 38 GG), dominieren in der Praxis der Gesetzgebung Vorentscheidungen in den Parteien, die an der politischen Willensbildung mitwirken (Art. 21 GG).
Die Zuständigkeit zur Gesetzgebung liegt bei den Bundesländern, wenn nicht eine Gesetzgebungsbefugnis des Bundes besteht (Art. 70 bis 72 GG) – nämlich eine ausschließliche oder in bestimmten Fällen der konkurrierenden Gesetzgebung.
Die Exekutive wird auf Bundesebene durch die Bundesregierung gebildet, die der Bundeskanzler als Regierungschef leitet. Auf Länderebene leiten die Ministerpräsidenten, in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen die Präsidenten des Senats, in Berlin der Regierende Bürgermeister die Exekutive. Auch die Länder sind parlamentarische Demokratien und deren Regierungschefs durch die Landtage, Bürgerschaften bzw. das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt. Die Verwaltungen des Bundes und der Länder werden jeweils durch die Fachminister geleitet.
Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt (Art. 63 GG), seine Amtszeit endet mit der Wahlperiode des Bundestages (Art. 69 Abs. 2 GG). Vor deren Ablauf kann der Bundeskanzler gegen seinen Willen nur dadurch aus dem Amt scheiden, dass der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt (Art. 67 GG, sogenanntes konstruktives Misstrauensvotum). Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers ernannt (Art. 64 Abs. 1 GG), sie und der Bundeskanzler bilden die Bundesregierung (Art. 62 GG), deren Richtlinienkompetenz der Bundeskanzler innehat (Art. 65 Satz 1 GG). Die Führungsaufgabe in der deutschen „Kanzlerdemokratie“ kommt dem Bundeskanzler zu.[70] Der Kanzler nominiert auch den deutschen Kandidaten für das Amt eines EU-Kommissars.
Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Ausführung der Bundesgesetze obliegt grundsätzlich den Bundesländern, sofern das Grundgesetz keine abweichende Regelung trifft oder zulässt (Art. 30, Art. 83 GG).
Im Demokratieindex 2016 belegte Deutschland Platz 13 unter 167 Ländern und gilt damit als eine „vollständige Demokratie“.[71]
Staatshaushalt
Der Staatshaushalt umfasste 2016 Ausgaben von 1.388 und Einnahmen von 1.414 Milliarden Euro, also einen kleinen Haushaltsüberschuss von 26 Milliarden oder 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).[72][73]
Die Staatsverschuldung Deutschlands lag gemäß Eurostat im Jahr 2016 bei 2.140 Milliarden Euro (inklusive Schulden der deutschen Sozialversicherung), was einer Staatsschuldenquote von 68,3 % entspricht.[74][75] Bis Ende Juni 2018 sank die Verschuldung des öffentlichen Gesamthaushalts auf 1.934 Milliarden Euro.[76]
Deutschland, dessen Staatsanleihen Bundesanleihen genannt werden, erhält von den drei großen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch die bestmögliche Bonität. Die große Nachfrage nach den als sichere Anlage geltenden Bundesanleihen hat in den letzten Jahren die Zinsen deutlich gesenkt und teilweise sogar zu Negativzinsen geführt, was einen Hauptgrund für Deutschlands Haushaltsüberschuss darstellt.[77]
Neben verschiedenen Verkehrsteuern (zum Beispiel Umsatzsteuer) erzielt der Staat einen Großteil seiner Einnahmen aus Steuern vom Einkommen und Ertrag: Hierzu zählen Einkommen-, Körperschaft- sowie Gewerbesteuer. Insofern Produkte oder Dienstleistungen der Umsatzsteuer unterliegen, beträgt der Steuersatz in Deutschland 19 (allgemeiner Satz) oder 7 Prozent (ermäßigter Satz, zum Beispiel Lebensmittel). Umgangssprachlich und im EU-Recht wird die Umsatzsteuer auch Mehrwertsteuer genannt. Laut einer OECD-Studie aus dem Jahr 2014 haben Deutsche durch die hohen Steuern und weitere Abgaben wie Sozialversicherungsbeiträge die weltweit höchste Abgabenlast, noch vor den skandinavischen Sozialstaaten.[78]
Parteienlandschaft
Parteien wirken gemäß Art. 21 GG an der politischen Willensbildung des Volkes mit. Die Parteienlandschaft wird durch die im Bundestag vertretenen Parteien geprägt, ihm gehören seit Bestehen die beiden Volksparteien, die SPD und die Unionsparteien (in Fraktionsgemeinschaft CDU und CSU), an. Von den kleineren Parteien sind dort nach der Bundestagswahl 2017 außerdem Die Linke und Grüne sowie die AfD und die FDP vertreten, die 2013 beide an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert waren.
Alle genannten Parteien sind in den Fraktionen des Europäischen Parlaments vertreten. Nahezu allen einflussreichen Parteien stehen Jugendorganisationen zur Seite, weitere politische Vorfeldorganisationen umfassen etwa Schülervertreter, Studentenverbände, Wirtschaftsvereine, Kommunalorganisationen und internationale Verbände. Parteinahe Stiftungen bestimmen den politischen Diskurs – rechtlich unabhängig von den Parteien – mit.
Europapolitik
Deutschland ist Gründungsmitglied des Europarates und der Europäischen Gemeinschaften, die mittels zunächst vorwiegend wirtschaftlicher Integration in den 1990er-Jahren zur politischen Europäischen Union (EU) zusammenwuchsen. Die Bundesrepublik Deutschland trat 1990 der Europäischen Währungsunion bei und ist Teil des Europäischen Binnenmarktes. Seit 2002 ist der Euro als Zahlungsmittel eingeführt und hat in der Bundesrepublik die Deutsche Mark abgelöst. Deutschland ist zudem Teil des Schengenraums und der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit mithilfe von Europol und Eurojust. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU bestimmt die deutsche Außenpolitik mit. Den Rechtsrahmen der deutschen Europapolitik in der EU setzt Artikel 23 des Grundgesetzes.
In Deutschland haben mehrere EU-Institutionen ihren Sitz, die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main, die als Euro-Notenbank und oberste Bankenaufsicht agiert, die Europäische Agentur für Flugsicherheit in Köln, die EU-Versicherungsaufsichtsbehörde in Frankfurt am Main und das Europäische Patentamt in München.
Außen- und Sicherheitspolitik
Die Leitlinien deutscher Außenpolitik sind die Westbindung und die europäische Integration. Sicherheitspolitisch zentral ist die Mitgliedschaft im transatlantischen Verteidigungsbündnis NATO seit 1955.
Während des Kalten Krieges war der Spielraum westdeutscher Außenpolitik begrenzt. Als eines der wichtigsten Ziele galt die Wiedervereinigung. Militäreinsätze im Ausland kamen nicht in Frage. Laut Grundgesetz darf sich die Bundeswehr an Angriffskriegen nicht beteiligen, ihre Aufgabe besteht lediglich in der Landes- und Bündnisverteidigung. Die von der sozialliberalen Koalition ab 1969 initiierte „Neue Ostpolitik“ unter dem Motto Wandel durch Annäherung, die wichtige Verbündete zunächst skeptisch sahen, konnte eigenständige Akzente setzen und wurde von der liberalkonservativen Regierung Helmut Kohls ab 1982 fortgeführt. Seit der Wiedervereinigung trägt Deutschland international größere Verantwortung; seit 1991 nimmt die Bundeswehr unter Aufsicht des Bundestages und zusammen mit verbündeten Armeen an friedenserhaltenden und -erzwingenden Einsätzen außerhalb Deutschlands und des Territoriums der NATO-Verbündeten teil (Out-Of-Area-Einsätze). Die Bundesregierung Gerhard Schröders lehnte den Irakkrieg 2003 ab und stellte sich damit gegen den wichtigen Verbündeten USA.
Traditionell spielt Deutschland zusammen mit Frankreich eine führende Rolle in der Europäischen Union. Deutschland treibt die Bemühungen voran, über die Wirtschafts- und Währungsunion hinaus eine einheitliche, wirkungsvolle europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu schaffen. Weitere außenpolitische Ziele sind die Verwirklichung des Kyoto-Protokolls zum Klimaschutz sowie die weltweite Anerkennung des Internationalen Strafgerichtshofs. Besonderes Interesse hat Deutschland an einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts, die es vor allem durch informelle Kontaktmöglichkeiten zwischen den beteiligten Parteien unterstützt. Zusammen mit den Verbündeten Großbritannien und Frankreich bemüht sich die Bundesrepublik, den Iran im Dialog dazu zu bewegen, auf die Weiterführung seines Kernenergieprogramms zu verzichten.
Im Jahr 2006 veröffentlichte das Bundesministerium der Verteidigung ein neues Weißbuch, das die Einbettung der Bundeswehr in friedenssichernde Maßnahmen auch in entlegenen Regionen der Erde vorsieht.
Militär
Nach ihrer Gründung 1949 durfte die Bundesrepublik Deutschland zunächst keine eigenen Streitkräfte aufstellen. Unter dem Eindruck des Koreakrieges und der Sowjetisierung Osteuropas wurde es der Bundesrepublik im Rahmen der Wiederbewaffnung gestattet, zunächst 1951 den paramilitärischen Bundesgrenzschutz als Grenzpolizei und ab 1955 vollwertige Streitkräfte aufzustellen, um der NATO beizutreten. Nach der Wiedervereinigung 1990 wurden Teile der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR in diese Streitkräfte eingegliedert. Von 1956 bis 2011 kam in der Bundesrepublik gemäß Art. 12a des Grundgesetzes für alle Männer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr eine allgemeine Wehrpflicht zur Anwendung. Die Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt, sie wurde durch den freiwilligen Wehrdienst ersetzt.
Die als Bundeswehr bezeichnete militärische Gesamtorganisation besteht aus den Streitkräften und ihrer Verwaltung. Die Streitkräfte gliedern sich in die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine sowie die unterstützenden Organisationsbereiche Streitkräftebasis, Zentraler Sanitätsdienst und Cyber- und Informationsraum. Nach Ende des Kalten Krieges wurde die Gesamtstärke der Bundeswehr von rund 500.000 bis 2015 schrittweise auf 180.000 Soldaten reduziert. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde eine maximale Friedensstärke von 370.000 deutschen Soldaten völkerrechtlich bindend festgelegt. Seit 2001 haben auch Frauen uneingeschränkten Zugang zum Dienst in den Streitkräften. Ihr Anteil beträgt 11,9 Prozent der Soldaten (Stand 2018). Rund 3.400 deutsche Soldaten befanden sich Mitte 2018 im Ausland im Einsatz. Die Reform seit Aussetzung der Wehrpflicht sah zunächst eine maximale personelle Stärke von 185.000 Soldaten und 55.000 zivilen Mitarbeitern vor.[79] Eine Reduzierung des schweren Geräts (Kampfpanzer, Artillerie) zugunsten leichteren, für globale Einsätze besser geeigneten Materials war wesentlicher Bestandteil dieser Reformen. Mit der Krimkrise sowie dem bewaffneten Konflikt in der Ostukraine 2014 änderte sich der Aufgabenschwerpunkt der Bundeswehr zurück zur Landes- und Bündnisverteidigung im Rahmen von NATO und EU. Zu diesem Zweck wurden seit 2015 Maßnahmen eingeleitet, die die starren Personalobergrenzen aufheben sowie die Rückkehr zur Vollausstattung mit schwerem Gerät (v. a. in den Kampftruppen) ermöglichen sollen. Mit Stand 2018 ist bis Mitte der 2020er-Jahre ein Aufwachsen der Sollstärke auf knapp 200.000 aktive Soldaten vorgesehen.[80]
Die Bundeswehr ist als erste Armee eines deutschen Nationalstaates eine Parlamentsarmee, über deren Einsätze ausschließlich der Bundestag auf Vorschlag der Bundesregierung entscheidet. Oberbefehlshaber („Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt“) ist in Friedenszeiten der jeweilige Bundesverteidigungsminister; im Verteidigungsfall geht diese Funktion auf den Bundeskanzler über. Das Traditionsverständnis der Bundeswehr distanziert sich sowohl von der Wehrmacht der NS-Zeit als auch von der NVA. Es bezieht sich auf die Preußische Heeresreform um 1810, die Befreiungskriege gegen Napoleon, den militärischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus und ihre eigene Geschichte (siehe Traditionserlass).[81] Für die Soldaten gilt das Leitbild des „Bürgers in Uniform“. Als bedeutendstes militärisches Zeremoniell gilt der Große Zapfenstreich, öffentlichkeitswirksam sind die häufig außerhalb militärischer Anlagen durchgeführten Vereidigungen und Gelöbnisse der Soldaten.
Die Bundesrepublik Deutschland gab im Jahr 2017 37 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus, den neuntgrößten Verteidigungsetat weltweit, der mit einem Anteil von etwa 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts unter dem Durchschnitt der NATO-Mitgliedstaaten liegt (2,3 Prozent). Eine Erhöhung des Etats in einen Bereich von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2025 ist vorgesehen.[82]
Polizei und Nachrichtendienste
Zuständig für die innere Sicherheit der Bundesrepublik sind die Polizeien der Länder, die zum Teil in Vollzugspolizei und Ordnungsbehörden geteilt werden. Dabei übernehmen die Ordnungsbehörden verwaltungstechnische Aufgaben und die Vollzugspolizei die Gefahrenabwehr. Zur Vollzugspolizei gehören etwa die Schutzpolizei, die Bereitschaftspolizei sowie die Kriminalpolizei, welche auch das Bundeskriminalamt und die einzelnen Landeskriminalämter umfasst. Das Bundeskriminalamt, direkt dem Bundesministerium des Innern unterstellt, ist die höchste Ermittlungsbehörde in Deutschland. Zur Bundespolizei gehören unter anderem die Mobile Fahndungseinheit und die Spezialeinheit GSG 9. Auf Landesebene gibt es jeweils mindestens ein Spezialeinsatzkommando (SEK) für besonders heikle Einsätze und mindestens ein Mobiles Einsatzkommando (MEK) für Observation und Zugriff.
Für die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung, die Spionageabwehr und den Verfassungsschutz sind in Deutschland drei Dienste zuständig. Der Bundesnachrichtendienst (BND) als Auslandsnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit nachgeordneten Landesbehörden als Inlandsnachrichtendienst haben keine polizeilichen Befugnisse. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) ist der Nachrichtendienst des Militärs.
Recht
Das deutsche Recht gehört dem kontinentalen Rechtskreis an und beruht auf dem deutschen Recht, das auf germanische Stammesgesetze und mittelalterliche Rechtssammlungen wie den Sachsenspiegel zurückgeht, und der Rezeption des römischen Rechts ab dem 12. Jahrhundert, das wegen seiner Exaktheit und Universalität als überlegen galt. Außer wenigen Rechtssetzungen wie der Constitutio Criminalis Carolina 1532 war das Heilige Römische Reich von Partikularrechten geprägt. Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurde eine Rechtsvereinheitlichung begonnen und im Deutschen Bund 1861 ein Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch sowie im Kaiserreich unter anderem das Reichsgericht 1877 und die Reichsjustizgesetze 1879 eingeführt. 1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft. Der Nationalsozialismus pervertierte das Recht zum Mittel der Gewaltherrschaft, wofür die Terrorurteile des Volksgerichtshofs stehen. In der DDR galt die Doktrin der „einheitlichen sozialistischen Staatsmacht“; Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Gerichte waren unbekannt.
Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich als Rechtsstaat (Art. 20, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG), was bedeutet, dass staatliche Tätigkeit nur durch das Recht begründet werden kann und durch das Recht begrenzt wird. Wer durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, hat das Recht, bei Gericht um Rechtsschutz hiergegen nachzusuchen (Art. 19 Abs. 4 GG). Die Richter sind unabhängig und unterliegen bei der Rechtsprechung keinerlei Weisungen.
Die Rechtsprechung wird im Wesentlichen von Gerichten der Bundesländer ausgeübt: In Zivil- und Strafsachen durch die Amtsgerichte, die Landgerichte und die Oberlandesgerichte (ordentliche Gerichtsbarkeit); an Fachgerichtsbarkeit gibt es die Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit. Für den gewerblichen Rechtsschutz besteht das Bundespatentgericht. Als Rechtsmittelgerichte dienen die obersten Gerichtshöfe des Bundes (Art. 95 GG): Der Bundesgerichtshof als oberstes Zivil- und Strafgericht, das Bundesarbeitsgericht, das Bundesverwaltungsgericht, das Bundessozialgericht und der Bundesfinanzhof. Über verfassungsrechtliche Streitigkeiten urteilt das Bundesverfassungsgericht (Art. 93 GG), dessen Entscheidungen Gesetzeskraft entfalten können und so andere Gerichte binden.
Zunehmende Bedeutung haben das Europarecht und die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Die Europäische Union übt erheblichen Einfluss auf das deutsche Recht aus.
Wirtschaft
Grundlagen
Mit einem nominalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 3,6 Billionen US-Dollar im Jahr 2017 ist Deutschland die größte Volkswirtschaft Europas und viertgrößte der Welt. Gemessen am nominalen BIP pro Kopf steht Deutschland international an 19., in der Europäischen Union an 8. Stelle (Stand 2016).[4] Gemessen am Warenwert war das Land 2016 der drittgrößte Importeur und Exporteur der Welt.[9] Deutschland gilt als sehr hoch entwickeltes Land, dessen Lebensstandard laut Index der menschlichen Entwicklung 2016 auf dem 4. Platz von 188 untersuchten Ländern liegt.[83] Im Global Competitiveness Index belegte es 2016 ebenfalls den 4. Platz. Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit speist sich vor allem aus der hohen Zahl an kleinen und mittleren Unternehmen (Mittelstand), die gerade in spezialisierten Bereichen der Industrie zu den Weltmarktführern gehören.
Die Gesamtwirtschaftsleistung wird zu 2,1 Prozent im primären Wirtschaftssektor (Landwirtschaft), 24,4 Prozent im sekundären (Industrie) und 73,5 Prozent im tertiären (Dienstleistung) erbracht. 2014 verzeichnete Deutschland mit durchschnittlich etwa 42,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Höchststand.[84] Die Zahl der Erwerbslosen lag im Schnitt 2014 bei 2,898 Millionen.[85] Deutschland wies gemäß Eurostat im Mai 2017 mit 3,9 % die zweitniedrigste Arbeitslosenquote in der Europäischen Union auf.[86] Ein wichtiger Faktor zur Schaffung neuer Arbeitsplätze ist das Unternehmer- und Gründertum, worüber unter anderem der jährliche KfW-Gründungsmonitor Auskunft gibt.[87]
Deutschland verfügt über verschiedenste Rohstoffvorkommen und weist eine lange Bergbautradition auf (unter anderem Kohle, Edelsalze, Industrieminerale und Baustoffe sowie Silber, Eisen und Zinn). Die Industrie ist auf globale Rohstoffimporte angewiesen.
Das Humanpotenzial mit guter Bildung und die Innovationskultur gelten als Voraussetzungen für den Erfolg der deutschen Wirtschaft und Wissensgesellschaft.[88] Als weltweit konkurrenzfähigste Branchen der deutschen Industrie gelten die Automobil-, Nutzfahrzeug-, elektrotechnische, Maschinenbau- und Chemieindustrie. Global bedeutend sind auch die Luft- und Raumfahrttechnik, die Finanzbranche mit dem Finanzplatz Frankfurt am Main und die Versicherungswirtschaft, insbesondere die Rückversicherungen. Der Stellenwert der Kultur- und Kreativwirtschaft nimmt zu.
Als Mitglied der Europäischen Union gehört Deutschland zum größten Binnenmarkt der Welt mit zusammen rund 500 Millionen Einwohnern und einem nominalen BIP von 17,6 Billionen US-Dollar 2011. Deutschland ist auch Teil der Eurozone, einer Währungsunion mit 19 Mitgliedsländern und etwa 337 Millionen Einwohnern. Deren Zahlungsmittel ist der Euro, dessen Währungspolitik von der Europäischen Zentralbank (EZB) gesteuert wird und der zweitwichtigste Reservewährung der Welt ist sowie gemessen am Bargeldwert die weltgrößte Währung im Umlauf.
Die Einkommensungleichheit in Deutschland lag 2005 knapp unter dem OECD-Durchschnitt.[89] 2008 betrug ein mittleres verfügbares Einkommen 1.252 bei einem Gini-Index von 0,29.[90] Die Vermögensverteilung in Deutschland ist mit einem Gini-Index von 0,78 deutlich stärker konzentriert als die Verteilung der Einkommen. Laut der Credit Suisse belief sich die Summe der Privatvermögen 2016 auf 12,4 Billionen Dollar. Im Durchschnitt verfügte jede erwachsene Person in Deutschland 2016 über ein Vermögen von 185.175 US-Dollar (Median-Vermögen: 42.833 US-Dollar). Das ist weltweit Platz 27 und weniger als in den meisten Nachbarländern Deutschlands – eine Ursache oder Folge (je nach Interpretation) ist ein niedriger Anteil an Immobilieneigentum.[91] 2016 gab es in Deutschland 1.637.000 Millionäre und 2017 insgesamt 114 Milliardäre (in US-Dollar), die weltweit dritthöchste Anzahl.[92]
Wirtschaftsentwicklung
Die deutsche Volkswirtschaft verzeichnete über Jahrzehnte mehr Exporte als jedes andere Land („Exportweltmeister“).[93] Die Exporte erreichten im Jahr 2016 einen Gesamtwert von 1.204 Milliarden Euro, der Warenwert der Importe betrug 955 Milliarden Euro – ein Überschuss der Außenhandelsbilanz von 249 Milliarden Euro.[94] Der Leistungsbilanzüberschuss war damit 2016 der höchste weltweit und lag bei über 7 % der Wirtschaftsleistung, was teilweise auf Kritik aus dem In- und Ausland stößt.[95]
Die wichtigsten Handelspartner im Jahr 2016 waren die Volksrepublik China (170,2 Milliarden Euro Handelsvolumen), Frankreich (166,8), Vereinigte Staaten (164,8), Niederlande (161,6), Vereinigtes Königreich (121,6), Italien (113,0) und Polen (101,1). Die wichtigsten Importquellen waren im selben Jahr China, die Niederlande und Frankreich. Die größten Exportmärkte waren die Vereinigten Staaten, Frankreich und das Vereinigte Königreich. Mehr als die Hälfte seines Außenhandels führte Deutschland mit den Staaten der Europäischen Union.[96][94] Der Wert aller Exporte von Gütern und Dienstleistungen machte 2016 46 % der Wirtschaftleistung aus, was Deutschland zu den Ländern mit hoher Exportquote macht.[97] Das Land ist deshalb potenziell anfällig für Schwankungen im globalen Handel, auch wenn der Aufschwung der letzten Jahre vor allem konsumgetrieben war.
Deutschland wurde Ende 2008 und 2009 von der internationalen Finanzkrise erfasst, was zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts 2009 um 5,6 Prozent führte. Anschließend wuchs die deutsche Volkswirtschaft wieder deutlich um 4,1 und 3,7 Prozent (2010 und 2011) und 2012 und 2013 moderater mit 0,5 und 0,5 Prozent. 2014 beschleunigte sich das Wirtschaftswachstum wieder auf 1,9 Prozent und 2015 und 2016 weiter auf 1,7 bzw. 1,9 Prozent.[98] Für das Jahr 2017 lag das Wachstum bei 2,2 %.[99]
Zwischen 2000 und 2011 lag die jährliche durchschnittliche Inflationsrate bei minimal 0,3 Prozent (2009) und bei maximal 2,6 Prozent (2008).[100] Anfang 2015 verzeichnete Deutschland durch den niedrigen Ölpreis erstmals seit 2009 eine leichte Deflation (−0,3 Prozent).[101]
Informationstechnik und Telekommunikation
Die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) gilt als wesentlicher Standortfaktor. Die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft wird unter dem Projektnamen Industrie 4.0 vorangetrieben. Das umsatzstärkste in Deutschland tätige Telekommunikationsunternehmen ist die Deutsche Telekom. SAP, die Software AG, Wincor Nixdorf und DATEV zählen zu den bedeutendsten Softwareherstellern der Welt mit Hauptsitz in Deutschland. Im Hardwarebereich ist vor allem die Entwicklung von Bedeutung, etwa bei Infineon und FTS. Neben angestammten Unternehmen der IKT-Branche gewinnen innovative StartUps und E-Ventures in Deutschland an Bedeutung.
2017 verfügten 88 Prozent der deutschen Bevölkerung über einen Internetanschluss; etwa 87 Prozent konnten auf einen Breitbandanschluss zurückgreifen.[102] Insbesondere im ländlichen Raum ist die Breitbandversorgung unterdurchschnittlich.[103] Laut Bundesregierung soll bis Ende 2018 eine flächendeckende Versorgung mit mindestens 50 MBit/s erreicht werden.[104]
Energie
Energieträger | 2010 (%) | 2011 (%) | 2012 (%) | 2013 (%) |
---|---|---|---|---|
Mineralöl | 33,4 | 33,8 | 33,0 | 33,0 |
Erdgas | 21,8 | 20,6 | 21,5 | 22,5 |
Steinkohle | 12,0 | 12,6 | 12,9 | 12,7 |
Erneuerbare Energien | 9,9 | 10,8 | 11,6 | 11,8 |
Braunkohle | 10,7 | 11,7 | 12,0 | 11,6 |
Kernkraft | 10,9 | 8,8 | 7,9 | 7,6 |
Sonstige | 1,3 | 1,7 | 1,3 | 0,8 |
Deutschland war im Jahr 2010 der viertgrößte Produzent an Primärenergie in Europa und wurde auf Rang 24 unter den Energieproduzenten der Welt gelistet.[106] 2012 betrug der Primärenergieverbrauch in Deutschland 13.757 PJ (2005: 14.238 PJ).[107] Daran gemessen ist das Land der zweitgrößte nationale Energieverbraucher in Europa und siebtgrößte in der Welt. Die Stromversorgung wurde im Jahr 2012 von 1059 Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland gewährleistet.[108]
Erneuerbare Energien lieferten im Jahr 2016 31,7 % der Bruttostromproduktion, 13,4 % des Endenergiebedarfs im Wärmesektor und 5,1 % der Kraftstoffe.[109] Im Rahmen der Energiewende ist geplant, bis 2050 den Anteil der Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch auf 80 % zu steigern, den Primärenergieverbrauch gegenüber 2008 um 50 % zu senken und den Treibhausgasausstoß in Einklang mit den EU-Zielen um 80 % bis 95 % gegenüber 1990 zu reduzieren.[110] Insgesamt sollen 2050 mindestens 60 % des Energieverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt werden.[111]
Tourismus
Deutschland zählte 2016 mit über 35 Millionen ausländischen Übernachtungsgästen im Jahr[112] zu den sieben meistbesuchten Ländern der Erde.[113] Der Fremdenverkehr erzielte 2012 mit 2,8 Millionen direkt Beschäftigten einen Umsatz von 140 Milliarden Euro. 171,6 Millionen Gäste (Ankünfte) (136,0 Mio. aus dem Inland, 35,6 Mio. aus dem Ausland) kamen 2016 auf 447,2 Mio. Übernachtungen (366,4 Mio. Inländer und 80,8 Mio. Ausländer) in 50.824 Unterkünften mit etwa 3,6 Mio. Betten. Die wichtigsten Herkunftsländer ausländischer Touristen waren 2016 die Niederlande (4,5 Millionen Besucher (Ankünfte)), die Schweiz (3,1 Mio.), USA (2,6 Mio.), Vereinigtes Königreich (2,6 Mio.), Österreich (1,8 Mio.) und Frankreich (1,7 Mio).[112]
Etwa 4.000 der 11.116 Gemeinden Deutschlands sind in Tourismusverbänden organisiert, 310 davon sind als Heilbäder, Seebäder und Kurorte anerkannt. Es stehen 6.135 Museen, 366 Theater, 34 Freizeit- und Erlebnisparks, 45.000 Tennisplätze, 648 Golfplätze, 190.000 km Wanderwegnetz, 40.000 Kilometer Radfernwege sowie Ferien- und Themenstraßen zur Verfügung.
Von herausragender Bedeutung ist der Geschäfts- und Kongresstourismus; Deutschland ist der international bedeutendste Messestandort mit mehreren Weltleitmessen. Die Internationale Tourismus-Börse Berlin ist die weltweit führende Tourismusmesse. Zudem gibt es in Deutschland die größte Dichte an Festivals.
Verkehr
Der von der Weltbank erstellte Logistics Performance Index 2018 weist Deutschland als das Land mit der weltweit besten Infrastruktur aus.[114]
Aufgrund der dichten Besiedlung und zentralen Lage in Europa besteht in Deutschland ein sehr hohes Verkehrsaufkommen. Insbesondere für den Güterverkehr stellt es ein wichtiges Transitland dar. Durch das Konzept der Transeuropäischen Netze wird Deutschland als Transferraum zwischen dem ersten europäischen Kernwirtschaftsraum, der sogenannten Blauen Banane, und dem Kernwirtschaftsraum in Ostmitteleuropa gefördert. Wichtige Projekte in diesen Netzen sind die Eisenbahnachsen Lyon/Genua–Rotterdam/Antwerpen, POS (Paris–Ostfrankreich–Südwestdeutschland), PBKAL (Paris–Brüssel–Köln–Amsterdam–London), Berlin–Palermo und die Magistrale für Europa. Ferner ist Deutschland der westliche Ausgangspunkt einiger Paneuropäischer Verkehrskorridore.
Der Güterverkehr hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stetig von der Schiene auf die Straße verlagert. Als Gegenmaßnahme wurde 2005 eine Autobahnmaut für Lastkraftwagen eingeführt. Im Schienenverkehr hat die Deutsche Bahn in den letzten Jahren unrentable Nebenstrecken sowie Güter- und Rangierbahnhöfe stillgelegt sowie Personenfernverkehrsverbindungen eingestellt. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 gilt für den Zeitraum 2016 bis 2030.
Straßenverkehr
Bereits die Römer legten gepflasterte Straßen in Deutschland an, die wieder verfielen. Die ersten Chausseen wurden im 18. Jahrhundert erbaut. Die Erfindung des Automobils gab dem Straßenbau neue Impulse. Die erste Autobahn der Welt, die AVUS, wurde 1921 in Berlin eröffnet. Der Straßenverkehr hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Eisenbahn als wichtigsten Verkehrsträger abgelöst. Deutschland besitzt eines der dichtesten Straßennetze der Welt. Das Bundesfernstraßennetz umfasst 12.845 Kilometer Autobahnen (Stand 2012) und 40.711 Kilometer Bundesstraßen. Weiterhin umfasste das überörtliche Straßennetz 86.597 Kilometer Landesstraßen, 91.520 Kilometer Kreisstraßen und die Gemeindeverbindungsstraßen.
Am 1. Januar 2017 waren in Deutschland 45,8 Millionen Personenkraftwagen zugelassen.
Der Fahrzeugbestand aller Kraftfahrzeuge und Anhänger betrug 62,6 Millionen.[115]
Um die Gefahren und Belastungen des Straßenverkehrs zu reduzieren, wurden in vielen deutschen Städten Fußgängerzonen, verkehrsberuhigte Zonen und Tempo-30-Zonen eingerichtet. Die Anzahl der im Straßenverkehr Getöteten nahm seither kontinuierlich ab; 2015 waren es 3.459 Menschen, 2016 noch 3.206.[116] Der Radverkehr spielt eine zunehmende Rolle, sein Ausbau wird politisch etwa durch den Radverkehrsplan unterstützt.
Schienenverkehr
Deutschlands Eisenbahnnetz ist etwa 38.500 Kilometer lang[117] und wird täglich von bis zu etwa 50.000 Personen- und Güterzügen befahren. Im Rahmen der Bahnreform wurden die Staatsbahnen Deutsche Bundesbahn (West) und Deutsche Reichsbahn (Ost) zum 1. Januar 1994 in das privatwirtschaftliche Unternehmen Deutsche Bahn AG überführt. Es organisiert den Großteil des Eisenbahnverkehrs in Deutschland. Rund 350 weitere Eisenbahnverkehrsunternehmen befahren das deutsche Eisenbahnnetz. Während sich der Staat aus dem operativen Betrieb zurückgezogen hat, finanziert er den Großteil des Netzunterhalts und -ausbaus sowie (über Regionalisierungsmittel) weitgehend den Regionalverkehr.
Regional- (Interregio-Express (IRE), Regionalbahn (RB), Regional-Express (RE) und S-Bahnen (S)) und Fernverkehr (Intercity (IC), Eurocity (EC) und Intercity-Express (ICE)) fahren weitgehend nach Taktfahrplan. Für Fernzüge stehen Schnellfahrstrecken in einer Gesamtlänge von etwa 2000 Kilometer zur Verfügung.
Nahverkehr
1881 eröffnete Werner von Siemens in Lichterfelde bei Berlin die erste elektrische Straßenbahn der Welt. Dieses Verkehrsmittel dominierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den öffentlichen Nahverkehr der größeren Städte in Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden vor allem in Westdeutschland viele stillgelegt, andere zu Stadtbahnen mit innerstädtischen Tunnelstrecken umgebaut. Ersetzt wurden sie durch Omnibus-Verkehr, die auch auf dem Land flächendeckend vorhanden sind und nahezu jeden Ort erschließen. Allerdings wurden die Busnetze durch den Bevölkerungsrückgang im ländlichen Raum ausgedünnt und häufig durch Rufbus-Systeme ersetzt. In den größten Städten wurden im 20. Jahrhundert U-Bahnen angelegt und mit S-Bahnen zu einem Schnellbahnnetz für Stadt und Umland kombiniert.
Seit den 1980er-Jahren wurden Radwegnetze in den Städten und auf dem Land angelegt und ausgebaut, sodass heute das Fahrrad wieder eine zunehmende Rolle im Nahverkehr spielt. Im internationalen Vergleich ist der öffentliche Nahverkehr in den größeren Städten Deutschlands durch hohe Effektivität und Flächendeckung gekennzeichnet.
Luftverkehr
Mit rund 700 Flugplätzen verfügt Deutschland über eine der größten Dichten an Start- und Landebahnen weltweit.
Der Flughafen Frankfurt am Main ist nach Passagieren (2016: 60,77 Millionen)[118] der größte Deutschlands, der viertgrößte Europas und gemessen am Frachtaufkommen (2015: 2,1 Millionen Tonnen)[119]der größte Flughafen Europas. Die größte deutsche Fluggesellschaft Lufthansa betreibt in Frankfurt, auf dem zweitgrößten deutschen Flughafen in München sowie auf dem drittgrößten deutschen Flughafen in Düsseldorf interkontinentale Drehkreuze. Seit dem Jahr 1999 betreiben die Länder Berlin und Brandenburg mit Partnern die Errichtung des Flughafens Berlin Brandenburg „Willy Brandt“.
Einen eigenen Weltraumbahnhof (bzw. Raumhafen) für den Verkehr über die Kármán-Linie (100 km) hinaus bis in den Weltraum besitzt Deutschland nicht. Die Raumfahrt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt nutzt deshalb meist den CSG-Raumhafen in Französisch-Guayana oder das russisch betriebene Kosmodrom Baikonur.
Schiffsverkehr
Aufgrund des hohen Außenhandelsanteils ist Deutschland besonders auf den Seehandel angewiesen. Es verfügt über eine Anzahl moderner Seehäfen, wickelt aber auch große Anteile seines Handels nach Übersee über die Häfen von Nachbarländern, vor allem der Niederlande, ab. Die drei umschlagstärksten Seehäfen in Deutschland sind Hamburg, Wilhelmshaven und die Bremer Häfen. Der JadeWeserPort in Wilhelmshaven ist der einzige Tiefwasserhafen in Deutschland. Die wichtigsten Ostseehäfen sind Rostock, Lübeck und Kiel. Rostock-Warnemünde ist der meistfrequentierte Kreuzfahrthafen Deutschlands.
Die wichtigsten Seeschifffahrtsstraßen sind Unterelbe und Unterweser. Der Nord-Ostsee-Kanal ist die meist befahrene künstliche Seeschifffahrtsstraße der Welt,[120][121] vor der deutschen Ostseeküste liegt mit der Kadetrinne die meistbefahrene Schiffsroute der Ostsee.
Es gibt ein gut ausgebautes Netz von Wasserstraßen für die Binnenschifffahrt. Die wichtigsten schiffbaren Flüsse sind Rhein, Main, Mosel, Weser und Elbe. Bedeutende Binnenkanäle sind der Mittellandkanal, der Dortmund-Ems-Kanal, der Rhein-Herne-Kanal und der Elbe-Seitenkanal. Der Main-Donau-Kanal überwindet die europäische Hauptwasserscheide und ermöglicht so einen direkten Schifffahrtsweg von der Nord- und Ostsee zum Schwarzen Meer. Der Komplex der Duisburg-Ruhrorter Häfen ist der umschlagstärkste Binnenhafen Deutschlands und gilt als größter Binnenhafen Europas.
Kultur
Die deutsche Kunst- und Kulturgeschichte, deren Wurzeln bis in die Zeit der Kelten, Germanen und Römer zurückreichen, hat seit dem Mittelalter stil- und epochenprägende Persönlichkeiten hervorgebracht. In den verschiedensten Disziplinen wurden deutschsprachige Kulturschaffende Wegbereiter neuer geistiger Strömungen und Entwicklungen. Einige der einflussreichsten deutschen Künstler zählen zu den Protagonisten der westlichen Zivilisation.[122]
Die deutsche Kultur hat sich, da Deutschland lange nicht als Nationalstaat existierte, über Jahrhunderte vor allem über die gemeinsame Sprache definiert; auch über die Reichsgründung 1871 hinaus ist Deutschland häufig als Kulturnation verstanden worden. Durch die Verbreitung von Massenmedien im 20. Jahrhundert hat die Populärkultur in der deutschen Gesellschaft einen hohen Stellenwert erhalten. Die Verbreitung des Internets im 21. Jahrhundert hat zu einer Differenzierung der Kulturlandschaft geführt und die mannigfaltigen Nischenkulturen in ihren Ausprägungen verändert.[123]
Der Verbreitung der deutschen Sprache und Kultur in der Welt dienen die Goethe-Institute. Mit insgesamt 158 Standorten, inklusive Verbindungsbüros, ist das Institut im Jahr 2013 in 93 Ländern vertreten.[124] Laut einer Umfrage in 22 Staaten für die BBC im Jahr 2013 genoss Deutschland international zum sechsten Mal in Folge seit dem Jahr 2008 das höchste Ansehen unter 16 untersuchten Ländern. Durchschnittlich bewerteten 59 Prozent der Befragten Deutschlands Einfluss und politisches Wirken als positiv, 15 Prozent hatten ein negatives Bild.[125]
Für spezielle Bereiche der deutschen Kultur siehe
- Deutschsprachige Literatur
- Deutsche Philosophie
- Musik in Deutschland
- Deutscher Film
- Fernsehen in Deutschland
- Architektur in Deutschland
- Welterbe in Deutschland
- Museen in Deutschland
- Feiertage in Deutschland
- Deutsche Küche
- Modedesign in Deutschland
- Deutsche Trachten
Für bildende Kunst, Spiele und Sport in Deutschland siehe Kultur Deutschlands.
Gesellschaft
Laut World Values Survey werden in Deutschland, das sich auf die pluralistische Tradition der Aufklärung stützt, säkular-rationale Werte und persönliche Selbstentfaltung geschätzt. Die Bevölkerung nennt in den Bereichen Bildung, Work-Life-Balance, Beschäftigung, Umwelt, Sozialbeziehungen, Wohnen, Sicherheit und subjektives Wohlbefinden Zufriedenheitswerte über dem Durchschnitt der entwickelten Industrienationen und liegt nur bei Gesundheit darunter. Insgesamt lag Deutschland 2015 beim OECD Better Life Index mit 7 von 10 Punkten über dem OECD-Schnitt (6,5; Griechenland 5,5, Schweiz 7,6).[126]
Im World Happiness Report 2018 der UN belegte Deutschland Platz 15 von 156 Ländern.[127]
Soziales
Deutschland hat eine lange Tradition des gesetzlich beförderten sozialen Ausgleichs. Laut Gini-Index gilt das Land im internationalen Vergleich als Gesellschaft mit geringer Einkommensungleichheit. Der deutsche Staat bietet seinen Bewohnern umfangreiche rechtliche Ansprüche auf Familienförderung und soziale Absicherung. Die Geschichte der Sozialversicherung begann im Kaiserreich. Spätere Regierungen haben sie nach und nach erweitert und um zusätzliche soziale Transferleistungen ergänzt, wodurch heute ein großer Teil des Staatshaushalts für Soziales aufgewendet wird.
Für Arbeitnehmer besteht eine Pflichtmitgliedschaft in der Sozialversicherung, die aus fünf Säulen besteht: Kranken-, Unfall-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Die soziale Grundsicherung wird in erster Linie durch Beiträge der Versicherten finanziert, Defizite durch Steuergelder ausgeglichen.
In Deutschland hatten 830.000 Euro-Millionäre 2010 ein Gesamtvermögen von 2.191 Milliarden Euro, während rund 12,4 Millionen Menschen (15,3 Prozent der Bevölkerung) in relativer Armut lebten oder als armutsgefährdet galten.[129] 2016 waren 19,7 Prozent der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht (EU: 23,5 Prozent).[130] Von der erwerbsfähigen Bevölkerung galten 2011 etwa 2,3 Millionen (4 Prozent) als vollständige und 7,5 Millionen als funktionale Analphabeten.[131]
Zu den innerstaatlichen Transferleistungen zählt der Länderfinanzausgleich, der Bundesländer mit hohem Steueraufkommen dazu verpflichtet, einen Teil ihrer Einnahmen an schlechter gestellte Länder abzugeben, damit die Lebensverhältnisse in Deutschland nicht zu weit auseinandergehen. Der auf die Einkommenssteuer erhobene Solidaritätszuschlag soll teilungsbedingte Lasten in den neuen Ländern mildern.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz soll Benachteiligungen aufgrund von Geschlecht, Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität (etwa Homosexualität) verhindern. Mit Rang 10 auf dem Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) hatte Deutschland 2016 einen niedrigen Korruptionsstand.
Gesundheit
Das deutsche Gesundheitswesen ist hoch entwickelt, wie die sehr niedrige Rate der Kindersterblichkeit von etwa 3,3 bei 1000 Geburten[132] und eine hohe Lebenserwartung deutlich machen, die im Jahr 2016 bei 78,2 Jahren für Männer und bei 83,1 für Frauen lag.[133] Dabei hatten 2015 arme Männer eine Lebenserwartung von 70,1, wohlhabende von 80,9 Jahren (Frauen: 76,9 und 85,3 Jahre).[134] 2015 ergab eine Studie der OECD, Patienten in Deutschland hätten kurze Wartezeiten, geringen eigenen Finanzaufwand und viel Auswahl. Die Vorbeugung sei verbesserungsfähig, was eine hohe Zahl von Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes zeige, die Qualität zeige sich aber unter anderem dadurch, dass ein Schlaganfall häufig überlebt werde. Die Zahl an Krankenhausaufenthalten und Operationen liege international in der Spitzengruppe, aber auch die Kosten für Medikamente; 2013 machten die Gesundheitsausgaben 11 Prozent des BIP aus (OECD-Schnitt: knapp 9 Prozent).[135]
Das Gesundheitssystem umfasst die Leistungserbringer wie Ärzte, Apotheker, Pflegepersonal, den Staat (Bund, Länder und Gemeinden), die Kranken-, Unfall-, Pflege- und Rentenversicherungen, die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, weitere Interessenverbände sowie die Patienten, zum Teil vertreten durch Verbände und Selbsthilfeorganisationen. Krankenhäuser werden häufig in gemeinnütziger Trägerschaft geführt, zunehmend jedoch privatisiert. Weitere Versorgungsleistungen werden weitgehend privat von Freiberuflern erbracht (niedergelassene Ärzte und Apotheker und Unternehmen, beispielsweise der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie). Der Staat beteiligt sich als Leistungserbringer nur nachrangig mit Gesundheitsämtern, kommunalen Krankenhäusern und Hochschulkliniken.
Der Großteil der Bevölkerung gehört der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) an, deren Beiträge sich hauptsächlich an der Einkommenshöhe orientieren. Familienmitglieder ohne eigenes Einkommen sind oft beitragsfrei mitversichert. Der Leistungsanspruch ist unabhängig von der Beitragshöhe. Etwa 10,8 Prozent der Versicherten waren 2017 privat krankenversichert.[136]
Bildung
Das heutige deutsche Bildungswesen hat seine Wurzeln unter anderem im weltweit einstmals vorbildhaften humboldtschen Bildungsideal und den preußischen Bildungsreformen. Seine Ausgestaltung liegt in der Verantwortung der Länder („Kulturhoheit“), wird jedoch durch bundesweite Konferenzen der Kultusminister koordiniert, die auch gemeinsame Bildungsstandards setzt. Je nach Bundesland gibt es Vorschulzeiten und es besteht eine neun- bis dreizehnjährige Schulpflicht. Der Besuch der allgemeinbildenden Schulen dauert mindestens neun Jahre. Danach können weiterführende Schulen bzw. berufsbildende Schulen besucht werden. Die meisten deutschen Bundesländer haben ein gegliedertes Schulsystem mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium, es gibt jedoch Tendenzen zu mehr Gesamtschulen und Ganztagsschulen. Die Hochschulreife wird – je nach Bundesland – nach zwölf oder dreizehn Schuljahren erworben.
Praktisch alle jungen Erwachsenen besuchen nach der Schule eine weiterführende Bildungseinrichtung. Auszubildende in Betrieben besuchen in der Regel an ein oder zwei Tagen in der Woche die Berufsschule, was als Erfolgsmodell der dualen Ausbildung weltweit bekannt ist. Die akademische Entsprechung ist das duale Studium. Studierende können zwischen universitären und anwendungsorientierten Hochschulen (Fachhochschulen) wählen. Die Akademikerquote stieg seit den 1970ern stetig an.
Auch die berufliche Weiterbildung spielt eine große Rolle. Für Arbeitslose stellt die Bundesagentur für Arbeit Weiterbildungsgutscheine bereit. Vor ihrer beruflichen Ausbildung können Jugendliche außerdem sogenannte Freiwilligendienste, wie ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr, absolvieren. Weitere populäre Übergangsaktivitäten sind der Freiwillige Wehrdienst und Auslandsaufenthalte, etwa in Form von Work & Travel oder Jugendaustausch.
Bei Schulleistungsuntersuchungen schneidet Deutschland im weltweiten Vergleich häufig nur mittelmäßig oder sogar unterdurchschnittlich ab. In den letzten PISA-Studien konnte Deutschland sich verbessern: Im PISA-Ranking von 2015 erreichten deutsche Schüler Platz 16 von 72 in Mathematik, Platz 15 in Naturwissenschaften und Platz 10 beim Leseverständnis. Die Leistungen deutscher Schüler lagen damit in allen drei Kategorien über dem OECD-Durchschnitt.[137][138] Die OECD kritisiert allerdings in den PISA-Studien die deutsche Bildungspolitik, da insbesondere die Schulerfolge von Kindern mit sozial- oder bildungsschwachem Elternhaus und mit Migrationshintergrund unter dem Durchschnitt lägen. Entgegen den Reformbemühungen der letzten Jahrzehnte ist es weiterhin statistisch signifikant unwahrscheinlicher, dass Arbeiterkinder das Abitur (Allgemeine Hochschulreife) oder einen Hochschulabschluss erreichen, als Kinder aus den Mittel- oder Oberschichten. Zudem würde es an individueller Differenzierung und Förderung sowohl bei leistungsstarken als auch -schwachen Schülern mangeln. Die Ausgaben für Bildung (4,6 % des Bruttoinlandsprodukts) liegen im OECD-Vergleich unter dem Durchschnitt. Die schulische Förderung im Grundschulalter gilt als verbesserungswürdig, insbesondere was Betreuungsmöglichkeiten und gezielte Förderung schwächerer Schüler angeht.
Wissenschaft
Deutschland ist ein international bedeutender Technologie- und Wissenschaftsstandort. Seit der industriellen Revolution waren deutschsprachige Forscher bei der Gründung empirischer Wissenschaften maßgeblich beteiligt. Insbesondere die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verschiedenster Industrien und der Wissenstransfer in die Praxis wurde durch die kreative Arbeit von Ingenieuren vorangetrieben. Rund 8 Prozent aller weltweit angemeldeten Patente im Jahr 2016 kamen aus Deutschland (Rang 4 nach den USA, Japan und China).[139]
In Deutschland sind Universitäten, Technische Universitäten und Fachhochschulen Einrichtungen der Forschung und wissenschaftlichen Lehre. Die (Technischen) Universitäten sind zu Promotions- und Habilitationsverfahren berechtigt. Beide Verfahren sollen Bildung nachweisen und wissenschaftliche Erkenntnisse enthalten. Mit der Einführung internationaler Abschlussbezeichnungen im Zuge des Bologna-Prozesses wird im akademischen Bildungsbereich die bisherige Trennung der Abschlüsse zwischen Fachhochschulen und Universitäten aufgeweicht. Einzelne Hochschuleinrichtungen bilden überhaupt nicht im tertiären Bildungsbereich aus, sondern sind zur postgradualen Bildung oder ausschließlich zur Promotion und Habilitation eingerichtet. Die meisten deutschen Hochschulen sind in öffentlicher Trägerschaft, werden aber in ihrer Forschung über Drittmittel finanziert (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Stiftungen, Unternehmen und andere).
Neben den Universitäten gibt es eine größere Anzahl von Forschungsorganisationen, die deutschlandweit und darüber hinaus tätig sind. Dabei wurde in Deutschland zum einen ein System der Arbeitsteilung der Universitäten untereinander und zum anderen eines zwischen den Universitäten und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen geschaffen. Die Max-Planck-Gesellschaft verpflichtet sich der Grundlagenforschung. Sie führt 79 Institute in Deutschland und besitzt ein Jahresbudget von 1,8 Milliarden Euro. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist die größte wissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland und betreibt 15 sogenannte Großforschungszentren, die fächerübergreifend an wissenschaftlichen Komplexen arbeiten. Die Fraunhofer-Gesellschaft ist die größte Organisation der angewandten Forschung. Sie greift in ihren 56 Instituten Ergebnisse der Grundlagenforschung auf und versucht sie wirtschaftlich zu erschließen. Sie stellt der Wirtschaft die Dienstleistung der Auftragsforschung bereit. Weltweite Bekanntheit erlangte sie durch die Entwicklung des MP3-Audioformats. Sie gehört zu den wichtigsten Patentanmeldern und -besitzern in Deutschland. Die Leibniz-Gemeinschaft ist ein Verbund eigenständiger Forschungseinrichtungen, die sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der angewandten Forschung arbeiten.
Aus Deutschland stammen zahlreiche Forscher aus allen Bereichen der modernen Wissenschaften. Mehr als 100 Nobelpreisträger werden dem Land zugeordnet. Albert Einstein und Max Planck begründeten mit ihren Theorien wichtige Säulen der theoretischen Physik, auf denen beispielsweise Werner Heisenberg und Max Born weiter aufbauen konnten. Wilhelm Conrad Röntgen, der erste Physik-Nobelpreisträger, entdeckte und untersuchte die nach ihm benannte Röntgenstrahlung, die noch heute eine wichtige Rolle unter anderem in der medizinischen Diagnostik und der Werkstoffprüfung spielt. Heinrich Hertz schrieb bedeutende Arbeiten zur elektromagnetischen Strahlung, die für die heutige Telekommunikationstechnik maßgeblich sind. Die Entwicklungen von Karl von Drais, Nikolaus Otto, Rudolf Diesel, Gottlieb Daimler und Carl Benz haben das Verkehrswesen revolutioniert, die nach ihren Erfindern benannten Bunsenbrenner und Zeppeline sind weltweit ein Begriff. Die deutsche Raumfahrt leistete entscheidende Pionierarbeit im Bereich der Raumfahrt und der Weltraumforschung und besitzt heute mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine leistungsfähige Raumfahrtagentur, zudem ist Deutschland das am meisten zur Europäischen Weltraumorganisation (ESA) beitragende Mitgliedsland.[140]
Die chemische Forschung wurde unter anderem von Carl Wilhelm Scheele, Otto Hahn und Justus von Liebig mitgeprägt. Mit ihren erfolgreichen Erfindungen sind Namen wie Johannes Gutenberg, Werner von Siemens, Wernher von Braun, Konrad Zuse und Philipp Reis Bestandteile der technologischen Allgemeinbildung. Auch viele bedeutende Mathematiker wurden in Deutschland geboren, so zum Beispiel Adam Ries, Friedrich Bessel, Richard Dedekind, Carl Friedrich Gauß, David Hilbert, Emmy Noether, Bernhard Riemann, Karl Weierstraß und Johannes Müller (Regiomontanus). Weitere wichtige deutsche Forscher und Wissenschaftler sind der Astronom Johannes Kepler, der Archäologe Heinrich Schliemann, die Biologin Christiane Nüsslein-Volhard, der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz, der Naturforscher Alexander von Humboldt, der Religionsforscher Max Müller, der Historiker Theodor Mommsen, der Soziologe Max Weber und der Medizinforscher Robert Koch.
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Siehe auch
Portal: Deutschland – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Deutschland
- BRD
- Nationale Symbole für Deutschland
Literatur
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Eckart Conze: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik von 1949 bis in die Gegenwart. Siedler, München 2009, ISBN 978-3-88680-919-6.- Margarete Graf: Schnellkurs Deutschland. DuMont, Köln 2007, ISBN 978-3-8321-7760-7.
Neil MacGregor: Deutschland. Erinnerungen einer Nation. C.H. Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-67920-9.
Enzyklopädie deutscher Geschichte. Hrsg. von Lothar Gall. In Verbindung mit Peter Blickle, Elisabeth Fehrenbach, Johannes Fried, Klaus Hildebrand, Karl Heinrich Kaufhold, Horst Möller, Otto Gerhard Oexle, Klaus Tenfelde. R. Oldenbourg Verlag, München 1988 ff.
Roland Steinacher, Stefan Donecker, Patrick Oelze, Michael Gehler, Oliver Domzalski, Steffen Raßloff, Daniel Mollenhauer: Deutsche Geschichte. Die große Bild-Enzyklopädie. Dorling Kindersley Verlag, München 2018, ISBN 978-3-8310-3542-7.
Weblinks
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Literatur von und über Deutschland im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
deutschland.de – crossmediales, mehrsprachiges Deutschland-Portal
bund.de – Portal der Bundesverwaltung
destatis.de – Zahlen, Daten, Fakten über Deutschland vom Statistischen Bundesamt
Deutschland in Karten und Nationalatlas aktuell – Überblick über die gesellschaftliche Situation, Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL)- Datenbank inhaltlich erschlossener Literatur zur gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Situation in Deutschland
Linkkatalog zum Thema Deutschland bei curlie.org (ehemals DMOZ)
CIA World Factbook: Deutschland (englisch) – Dossier über Deutschland
Handbuch Tatsachen über Deutschland – aktuelle Informationen über Deutschland
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – Thema beim Informationsportal zur politischen Bildung
Gesellschaft und Zeitgeschehen – Artikelsammlung zur Gesellschaft in Deutschland beim Goethe-Institut
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