Königreich Preußen
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Königreich Preußen bezeichnet den preußischen Staat zur Zeit der Herrschaft der preußischen Könige zwischen 1701 und 1918.
Das Königreich Preußen entstand aus den brandenburgisch-preußischen Gebieten, nachdem sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg zum König in Preußen gekrönt hatte (→ Königskrönung Friedrichs III. von Brandenburg). Durch diesen Vorgang wurde das von Friedrich beherrschte, aber im Gegensatz zu Brandenburg nicht zum Heiligen Römischen Reich gehörende Herzogtum Preußen zum Königreich erhoben. Der Name dieses Königreichs Preußen im engeren Sinne wurde in der Folgezeit zunehmend auf die Gesamtheit der Gebiete angewandt, die von den preußischen Königen beherrscht wurden, während das ursprüngliche Königreich nun Ostpreußen genannt wurde.[1]
Im 18. Jahrhundert stieg Preußen zu einer der fünf europäischen Großmächte auf und wurde die zweite deutsche Großmacht nach Österreich. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts trieb es die Schaffung eines deutschen Nationalstaates entscheidend voran und war ab 1867 der dominierende Gliedstaat des Norddeutschen Bundes. 1871 wurde dieser Bund zum Deutschen Kaiserreich umgestaltet und die Könige von Preußen übernahmen das Amt des Deutschen Kaisers. Mit der Abdankung des letzten Kaisers und Königs, Wilhelms II., infolge der Novemberrevolution 1918 wurde die Monarchie abgeschafft. Das Königreich ging im neu geschaffenen Freistaat Preußen auf.
Inhaltsverzeichnis
1 Geschichte
1.1 Unter König Friedrich I. (1701–1713)
1.2 Unter König Friedrich Wilhelm I. (1713–1740)
1.3 Unter König Friedrich II. (1740–1786)
1.4 Stagnation (1786–1807)
1.5 Staatsreformen und Befreiungskriege (1807–1815)
1.6 Restauration und Reaktion, Vormärz und Märzrevolution (1815–1848)
1.6.1 Konflikt um den Vereinigten Landtag
1.6.2 Deutsche Revolution von 1848/1849
1.7 Nach der Revolution bis zum Kaiserreich (1849–1871)
1.7.1 Erster Einigungskrieg: Deutsch-Dänischer Krieg
1.7.2 Zweiter Einigungskrieg: Krieg gegen Österreich
1.7.3 Dritter Einigungskrieg: Deutsch-Französischer Krieg
1.8 Im Deutschen Kaiserreich (1871–1918)
1.9 Ende der Monarchie in Preußen
2 Wirtschaft
2.1 Wirtschaftliche Expansion unter König Friedrich-Wilhelm I. (1713–1740)
2.2 Kriegswirtschaft, Krisen und wirtschaftliche Genesung (1740–1806)
2.3 Wirtschaftsreformen, Technisierung, industrielle Revolution (1807–1871)
2.4 Wirtschaft im Deutschen Kaiserreich (1871–1918)
3 Verwaltungsgliederung
4 Bevölkerungszahl und Fläche
5 Siehe auch
6 Literatur
7 Weblinks
8 Einzelnachweise
Geschichte |
Unter König Friedrich I. (1701–1713) |
Rang, Reputation und Prestige eines Fürsten waren in der Zeit des Absolutismus wichtige politische Faktoren. Kurfürst Friedrich III. nutzte daher seine Souveränität im Herzogtum Preußen, um dort für sich den Königstitel anzustreben. Damit versuchte er vor allem, die Ranggleichheit mit dem Kurfürsten von Sachsen, der zugleich König von Polen war, und mit dem Kurfürsten von Hannover, der Anwärter auf den englischen Thron war, zu wahren. Kaiser Leopold I. sicherte Friedrich schließlich zu, ihn inner- und außerhalb des Reichs als König anerkennen zu wollen. So krönte sich der Kurfürst am 18. Januar 1701 als Friedrich I. in Königsberg eigenhändig zum „König in Preußen“. Der Preis der Königswürde war die Teilnahme der nun Königlich-Preußischen Armee am Spanischen Erbfolgekrieg auf Seiten des Kaisers gegen Frankreich.
Die einschränkende Titulatur „in Preußen“ blieb erhalten, weil die Bezeichnung als „König von Preußen“ als Herrschaftsanspruch auf ganz Preußen, also den seit 1466 geteilten Deutschordensstaat, verstanden worden wäre. Dessen westlicher Teil, das Preußen königlichen Anteils, gehörte zu Polen.
Friedrich I. konzentrierte sich auf eine aufwändige Hofhaltung nach französischem Vorbild und brachte, unterstützt durch das Drei-Grafen-Kabinett, seinen Staat an den Rand des finanziellen Ruins. Nur durch Vermietung weiterer preußischer Soldaten an die Allianz im Spanischen Erbfolgekrieg konnte der König die kostspieligen Aufwendungen für den Prunk am Hof bestreiten. So erhielt Preußen während seiner Amtszeit 14 Millionen Taler an Subsidienzahlungen von den Alliierten. Der Staatshaushalt betrug 1712 rund vier Millionen Taler, von denen allein 561.000 ausschließlich der Hofhaltung zugeführt wurden. Die Einnahmen bestanden nur zum Teil aus Steuern. Die Subsidienzahlungen der Alliierten hingen vom Kriegsverlauf ab, bildeten also keine verlässliche Größe. Ein bedeutender Anstieg der reinen Steuereinnahmen in der Amtszeit Friedrichs I. fand nicht statt.
Unter König Friedrich Wilhelm I. (1713–1740) |
Der Sohn Friedrichs I., Friedrich Wilhelm I., war nicht prunkliebend wie sein Vater, sondern vielmehr sparsam und praktisch veranlagt. Folglich kürzte er, eben aus dem Sterbezimmer des Vaters kommend, die Ausgaben für die Hofhaltung und entließ nach der Beerdigung die meisten Höflinge. Alles, was dem höfischen Luxus diente, wurde entweder abgeschafft oder anderen Nutzungen zugeführt. Alle Sparmaßnahmen des Königs zielten auf den Ausbau eines starken stehenden Heeres, in dem der König die Grundlage seiner Macht nach innen und außen sah. Von den jährlichen Staatseinnahmen verwendete er 73 % für die laufenden Militärkosten, während Hof und Verwaltung mit 14 % auskommen mussten. In seiner Amtszeit baute er die preußische Armee zu einer der schlagkräftigsten Armeen in ganz Europa aus, was ihm den Beinamen „der Soldatenkönig“ verschaffte. Angesichts der Größe der preußischen Armee im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, 83.000 Soldaten zu 2,5 Millionen Einwohnern im Jahre 1740, schrieb Georg Heinrich von Berenhorst später: „Die preußische Monarchie bleibt immer – nicht ein Land, das eine Armee, sondern eine Armee, die ein Land hat, in welchem sie gleichsam nur einquarti[e]rt steht.“[2] Trotz seines Beinamens führte Friedrich Wilhelm I. nur einmal in seiner Amtszeit einen kurzen Feldzug, im Großen Nordischen Krieg während der Belagerung von Stralsund. Dieser Feldzug brachte Preußen den Gewinn eines Teils Vorpommerns von den Schweden.
Friedrich Wilhelm I. gilt als der eigentliche Schöpfer des preußischen Beamtentums.[3] Er revolutionierte die Verwaltung, unter anderem mit der Gründung des Generaldirektoriums. Damit zentralisierte er das Land, das bisher noch immer territorial zersplittert war, und gab ihm eine einheitliche staatliche Organisation. Durch eine merkantilistische Wirtschaftspolitik,[4] die Förderung von Handel und Gewerbe sowie eine Steuerreform gelang es dem König, die jährlichen Staatseinnahmen von 3,4 auf 7 Millionen Taler zu verdoppeln. Um die nötigen Fachkräfte zu gewinnen, führte er die allgemeine Schulpflicht ein und errichtete volkswirtschaftliche Lehrstühle an preußischen Universitäten; sie waren die ersten ihrer Art in Europa. Gab es zu Beginn der Regentschaft des Soldatenkönigs im Jahre 1717 erst 320 Dorfschulen so waren es im Jahre 1740 schon 1480 Schulen.
Im Zuge einer massiv betriebenen Peuplierungspolitik ließ er Menschen aus ganz Europa ansiedeln; so holte er mehr als 17.000 protestantische Salzburger und andere Glaubensflüchtlinge ins dünn besiedelte Ostpreußen.
Als Friedrich Wilhelm I. 1740 starb, hinterließ er ein wirtschaftlich und finanziell gefestigtes Land. Er hatte Preußens Fläche um 8000 km² auf 119.000 km² vergrößert, und es gilt als sein Verdienst, dass die Bevölkerung, die 1688 noch 1,5 Mio. Einwohner betragen hatte, sich bis 1740 auf 2,4 Mio. erhöhte. Eine Schattenseite seiner Amtszeit war allerdings die starke Militarisierung des Lebens in Preußen.[5]
Unter König Friedrich II. (1740–1786) |
Am 31. Mai 1740 bestieg sein Sohn Friedrich II. – später auch „Friedrich der Große“ genannt – den Thron.[6] Als Kronprinz der Philosophie und den schönen Künsten zugeneigt, ließ er noch in seinem ersten Regierungsjahr die preußische Armee in Schlesien einmarschieren, auf das die Hohenzollern umstrittene Ansprüche erhoben. In den drei Schlesischen Kriegen (1740–1763) gelang es ihm, die Eroberung gegen Österreich zu behaupten, im letzten, dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763), sogar gegen eine Koalition aus Österreich, Frankreich und Russland. Dies war der Beginn der preußischen Großmachtstellung in Europa und des preußisch-österreichischen Dualismus im Reich. Bereits 1744 war die Grafschaft Ostfriesland nach Aussterben des dortigen Fürstengeschlechts der Cirksena an Preußen gefallen, das sich die seit 1683 bestehenden Handelsbeziehungen zu Ostfriesland zunutze machte.
In den letzten 23 Jahren seiner bis 1786 währenden Herrschaft förderte Friedrich II., der sich als „erster Diener des Staates“ verstand,[7] den Landesausbau und die weitere Besiedelung brandenburgisch-preußischer Gebiete, etwa des Oderbruchs. Die Peuplierung der dünn besiedelten Gebiete östlich der Elbe stand auf der politischen Agenda an erster Stelle. Als Vertreter des aufgeklärten Absolutismus schaffte er die Folter ab, verminderte die Zensur, legte den Grundstein für das Allgemeine preußische Landrecht und holte mit der Gewährung völliger Glaubensfreiheit weitere Exulanten ins Land. Nach seiner Auffassung sollte in Preußen „jeder nach seiner Façon selig werden“. Bekannt wurde in diesem Zusammenhang auch sein Ausspruch: „Alle Religionen seindt gleich und gut, wan nuhr die leute, so sie profesieren, Ehrlige leute seindt, und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land pöplieren, so wollten wir sie Mosqueen und Kirchen bauen.“
Gemeinsam mit Österreich und Russland betrieb Friedrich die Teilung Polens. Bei der ersten Teilung 1772 fielen Polnisch-Preußen, der Netzedistrikt und das Fürstbistum Ermland an Brandenburg-Preußen. Somit war die für Friedrich II. wichtige Landverbindung zwischen Pommern und dem außerhalb des Reiches liegenden Königreich Preußen hergestellt. Da sich nun „beide Preußen“, Polnisch-Preußen und das Königreich Preußen, im Besitz der Hohenzollernmonarchie befanden, konnte Friedrich II. sich König „von Preußen“ nennen. Verwaltungstechnisch bestand das Königreich aus den Provinzen Westpreußen und Ostpreußen sowie dem Netzedistrikt.
Der König vergrößerte sein Territorium während seiner Herrschaft um 76.000 km² auf 195.000 km² (1786). Während dieser Zeit stieg die Bevölkerung Preußens von etwa 2,4 Millionen auf 5,629 Millionen Einwohner an, trotz des Verlustes von etwa 500.000 Menschen während des Siebenjährigen Krieges. Die Zahl der Einwanderer nach Preußen wird in der Zeit von 1740 bis 1786 auf 284.500 geschätzt.[8] Trotz zeitweiliger Zerrüttung der Wirtschaft durch die langandauernden Kriege in seiner Herrschaftszeit stiegen die Staatseinnahmen von 7 Millionen Taler im Jahr 1740 auf 20 Millionen im Jahr 1786 an. Friedrich der Große starb am 17. August 1786 im Schloss Sanssouci.
Stagnation (1786–1807) |
1786 wurde Friedrichs Neffe, Friedrich Wilhelm II. (1786–1797) neuer preußischer König. Am Hof etablierte sich zum ersten Mal in der preußischen Geschichte ein Hofstaat mit Mätressen und Günstlingen. Die berühmteste Mätresse war Wilhelmine Enke, die von Friedrich Wilhelm den Titel einer Gräfin Lichtenau erhielt. Er hatte sie bereits vor seinem Machtantritt kennengelernt. Berlin wuchs in den 1790er Jahren zu einer ansehnlichen Stadt heran. Im Jahr 1791 wurde das Brandenburger Tor vom Architekten Carl Gotthard Langhans fertiggestellt. Andere klassizistische Bauten folgten.
Der König stand schon früh unter dem Einfluss gegenaufklärerischer Bestrebungen, namentlich Johann Christoph Wöllners und Johann Rudolf von Bischoffwerders, die die preußische Politik dieser Zeit stark mitbestimmten. Die vielgerühmte Toleranzpolitik Preußens ist zumindest zu dieser Zeit nicht besonders ausgeprägt. In der Hauptstadt existierte zwar die aufklärerische Berliner Mittwochsgesellschaft. Sie musste aber auf Grund der antiaufklärerischen Regierung im Geheimen tagen. Mitglieder waren unter anderem die Verfasser des Allgemeinen Landrechts Carl Gottlieb Svarez und Ernst Ferdinand Klein, die Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift Gedike und Biester, der Verleger Friedrich Nicolai und als Ehrenmitglied Moses Mendelssohn. Die Französische Revolution wurde auch hier, wie im ganzen Reich, vom Bildungsbürgertum meist positiv aufgenommen. Allerdings wurden Personen, die sich revolutionär und abfällig über die preußische Regierung äußerten, seit 1790 entweder für mehrere Wochen festgesetzt oder ausgewiesen; andere emigrierten freiwillig. Im Jahre 1794 wurde das Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten eingeführt. Das umfassende Gesetzeswerk war bereits unter Friedrich II. begonnen worden. Während der Herrschaft Friedrich Wilhelm II. verlor es zwar seinen aufgeklärten Charakter, stellte aber immer noch eine allgemeingültige Rechtsgrundlage für alle preußischen Provinzen dar.[9]
Die Teilungspolitik gegenüber Polen wurde von Friedrich Wilhelm II. sowie von Russland und Österreich fortgesetzt. Bei der zweiten und der dritten Teilung Polens (1793 und 1795) sicherte sich Preußen weitere Gebiete bis nach Warschau. Durch diese Gebietszuwächse vergrößerte sich auch die Bevölkerung um 2,5 Millionen Polen und man stand vor der schwierigen Aufgabe, diese in den Staat zu integrieren. Ob dies letztendlich gelungen wäre, lässt sich nicht abschließend sagen, da die Gebiete der beiden letzten Teilungen Polens zunächst unter der Herrschaft Napoléons für Preußen wieder verloren gingen.
Österreich und Preußen näherten sich während der Französischen Revolution an. Ein erstes Zusammentreffen zwischen Leopold II. und Friedrich Wilhelm II. am 27. August 1791 mündete auf Einwirken des Grafen von Artois, des späteren französischen Königs Karl X., in der Pillnitzer Deklaration. Darin erklärten sie ihre Solidarität mit dem französischen Königtum und drohten mit militärischen Aktionen, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die anderen europäischen Mächte einem solchen Schritt zustimmen würden. Weitergehend wurde am 7. Februar 1792 ein Verteidigungsbündnis, der Berliner Vertrag, zwischen Österreich und Preußen geschlossen. Frankreich erklärte kurze Zeit später, am 20. April 1792, Österreich und somit auch Preußen den Krieg. Am 20. September 1792 kam es zur Kanonade von Valmy, bei der preußische und französische Truppen zwar keine direkten Kampfhandlungen eingingen und es nur wenige Opfer gab. Die preußischen Truppen mussten sich aber auf Grund von andauerndem Regenwetter, Krankheiten und Hunger unter den Soldaten zurückziehen. In der Folge konnten französische Truppen bis in das Rheinland vorstoßen. Preußens Beteiligung am Ersten Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich dauerte noch bis zum Frieden von Basel 1795, danach schied es für mehr als ein Jahrzehnt aus der antifranzösischen Allianz aus. Am 16. November 1797 starb Friedrich Wilhelm II., sein Nachfolger wurde sein Sohn Friedrich Wilhelm III. (1797–1840).
Mit dem Reichsdeputationshauptschluss konnte Preußen 1802/1803 im Westen die im Frieden von Basel avisierten erheblichen Zugewinne an Land und Menschen erzielen. Im Zuge der dabei geregelten Säkularisation verleibte es sich vormals geistliche Herrschaftsgebiete des Hochstifts Hildesheim, des Hochstifts Paderborn (Fürstentum Paderborn), des Hochstifts Münster (Erbfürstentum Münster), kurmainzische Besitzungen in Thüringen sowie die Reichsstifte Quedlinburg, Elten, Essen, Werden und Cappenberg ein, außerdem die vormaligen Reichsstädte Mühlhausen, Nordhausen und Goslar.
Als 1806 Verhandlungen mit Frankreich über die Aufteilung der Machtsphären in Deutschland scheiterten, flammte der Krieg wieder auf. In der Schlacht bei Jena und Auerstedt erlitt Preußen eine vernichtende Niederlage gegen die Truppen Napoleons I.; König Friedrich Wilhelm III. und seine Familie mussten vorübergehend nach Memel fliehen, und unter dem französischen Einfluss begann die sogenannte „Franzosenzeit“. Der Staat verlor 1807 im Frieden von Tilsit etwa die Hälfte seines Gebietes, darunter waren alle Gebiete westlich der Elbe sowie die Gebiete aus der zweiten und dritten Teilung Polens, die nun an das neue, von Napoléon etablierte Herzogtum Warschau fielen.
Staatsreformen und Befreiungskriege (1807–1815) |
Preußen war 1807 nur noch ein in Größe und Funktion zusammengeschrumpfter Pufferstaat. Es musste die französische Besatzung erdulden, die fremden Truppen versorgen und große Kontributionszahlungen an Frankreich leisten. Diese einschränkenden Friedensbedingungen bewirkten aber auch eine Erneuerung des Staates mit dem Ziel, seine Handlungsfähigkeit zu verbessern, um wieder eine Macht ersten Ranges zu werden. Dazu musste sich der preußische Staat grundlegend reformieren, um einen zukünftigen Befreiungskampf führen und gewinnen zu können. Mit den Stein-Hardenbergschen Reformen unter Leitung von Freiherr vom Stein, Scharnhorst und Hardenberg wurde das Bildungswesen neu gestaltet,[10] 1807 die Leibeigenschaft der Bauern aufgehoben und 1808 die Selbstverwaltung der Städte eingeführt. 1810 wurde die Gewerbefreiheit eingeführt. Die begonnene Heeresreform wurde 1813 mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht abgeschlossen.[11]
Nach der Niederlage der „Grande Armee“ in Russland wurde am 30. Dezember 1812 bei Tauroggen der Waffenstillstand zwischen Preußen und dem Russischen Reich vom preußischen Generalleutnant Graf Yorck und vom General der russischen Armee Hans von Diebitsch unterzeichnet. Yorck handelte dabei aus eigener Initiative ohne Befehl seines Königs. Die Konvention von Tauroggen besagte, dass Yorck seine preußischen Truppen aus der Allianz mit der französischen Armee herauslösen sollte. In Preußen wurde dies als Beginn des Aufstandes gegen die französische Fremdherrschaft verstanden. Gegen Ende Februar wurde mit Russland im Vertrag von Kalisch ein antinapoleonischer Bündnisvertrag abgeschlossen. Als am 17. März 1813 das Volk zum Befreiungskampf aufgerufen wurde, standen 300.000 preußische Soldaten (6 Prozent der Gesamtbevölkerung) bereit. Für die Dauer der Auseinandersetzung wurde die Allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Preußische Truppen unter Marschall Blücher trugen in der Schlacht von Waterloo 1815 entscheidend zum endgültigen Sieg über Napoleon bei.
Restauration und Reaktion, Vormärz und Märzrevolution (1815–1848) |
Beim Wiener Kongress 1815 erhielt Preußen den Großteil seines alten Staatsgebietes zurück. Neu hinzu kamen Schwedisch-Pommern, der nördliche Teil des Königreichs Sachsen, die Provinz Westfalen und die Rheinprovinz. In den neuen Provinzen im Westen entstanden in Koblenz, Köln und Minden mächtige Festungen, gebaut nach der neupreußischen Befestigungsmanier, zur Sicherung der preußischen Vormachtstellung. Preußen erhielt zwar die zuvor polnische Provinz Posen zurück, nicht jedoch die Gebiete der zweiten und der dritten polnischen Teilung, die an Russland gingen. Preußen bestand seitdem aus zwei großen, aber räumlich getrennten Länderblöcken in Ost- und Westdeutschland. Es wurde Mitglied des Deutschen Bundes, des losen Verbandes der deutschen Staaten unter österreichischer Führung, der von 1815 bis 1866 existierte.
Das während der Freiheitskriege seinem Volk gegebene Versprechen, dem Land eine Verfassung zu geben, löste Friedrich Wilhelm III. nie ein.[12] Anders als in den meisten übrigen deutschen Staaten wurde in Preußen auch keine Volksvertretung für den Gesamtstaat geschaffen. Statt eines Landtages für ganz Preußen wurden lediglich Provinziallandtage einberufen. Die königliche Regierung glaubte so, liberale Bestrebungen nach einer konstitutionellen Monarchie und demokratischen Mitwirkungsrechten wirkungsvoller verhindern zu können. Dem Ziel, die Demokratiebestrebungen in ganz Europa zu unterdrücken, diente auf außenpolitischer Ebene die Heilige Allianz, die Friedrich Wilhelm III. gemeinsam mit dem Zaren von Russland und dem Kaiser von Österreich ins Leben rief.
Dem Bestreben der königlichen Regierung, Liberalismus, Demokratie und die Idee der Einigung Deutschlands zu bekämpfen, standen jedoch starke ökonomische Zwänge entgegen.[13] Aufgrund der Zweiteilung seines Staatsgebiets lag die wirtschaftliche Einigung Deutschlands nach 1815 in Preußens ureigenem Interesse. Es gehörte daher 1834 zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Zollvereins.[14]
Infolgedessen setzten auch außerhalb des Landes immer mehr Befürworter der deutschen Einigung, insbesondere die Protestanten, ihre Hoffnungen darauf, dass Preußen Österreich als Führungsmacht des Bundes ablösen werde. Es war von „Preußens deutscher Sendung“ die Rede und davon, dass das Land immer mehr nach Deutschland hinein und Österreich aus Deutschland heraus wachse. Die preußische Regierung wollte von dieser „Sendung“ nichts wissen. Weit davon entfernt, sich für die politische Einigung Deutschlands zu engagieren, widersetzte sie sich sogar dem immer lauter werdenden Ruf nach einer Verfassung und einem Landtag für ganz Preußen.
Konflikt um den Vereinigten Landtag |
Die Hoffnungen, die der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. (1840–1861) bei Liberalen und Anhängern der deutschen Einigung zunächst geweckt hatte, wurden bald enttäuscht. Auch der neue König machte aus seiner Abneigung gegen eine Verfassung und einen gesamtpreußischen Landtag keinen Hehl.
Der große Finanzbedarf für den Bau der von den Militärs geforderten Ostbahn erforderte jedoch die Bewilligung von Etatmitteln aller Provinzen. Der König ließ daher einen ständischen Ausschuss zusammentreten, dem Vertreter aller Provinziallandtage angehörten. Dieser Ausschuss erklärte aber, er sei für die ihm zugedachte Aufgabe nicht zuständig. Daher und aufgrund des wachsenden öffentlichen Drucks fand sich Friedrich Wilhelm IV. im Frühjahr 1847 schließlich bereit, den von den Liberalen seit langem geforderten Vereinigten Landtag einzuberufen.
Der König machte schon in seiner Eröffnungsrede unmissverständlich deutlich, dass er den Landtag nur als Instrument der Geldbewilligung ansehe und dass er mit Blick auf sein monarchisches Gottesgnadentum keine Verfassungsfragen erörtert sehen wolle. Er werde nicht zulassen, „daß sich zwischen unseren Herr Gott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt gleichsam als zweite Vorsehung eindränge“. Da die Mehrheit des Landtags aber von Beginn an nicht nur das Etatbewilligungsrecht, sondern auch eine parlamentarische Kontrolle der Staatsfinanzen und eine Verfassung forderte, wurde das Gremium schon nach kurzer Zeit wieder aufgelöst. Preußen stand damit schon vor dem Ausbruch der Märzrevolution vor einem Verfassungskonflikt.
Deutsche Revolution von 1848/1849 |
Nach den Volkserhebungen in Südwestdeutschland erreichte die Revolution am 18. März 1848 schließlich auch Berlin. Friedrich Wilhelm IV., der zunächst noch auf die Aufständischen hatte schießen lassen, ließ die Truppen aus der Stadt zurückziehen und schien sich nun den Forderungen der Revolutionäre zu beugen. Der Vereinigte Landtag trat noch einmal zusammen, um die Einberufung einer preußischen Nationalversammlung zu beschließen. Gleichzeitig mit den Wahlen zur preußischen fanden die zur gesamtdeutschen Nationalversammlung statt, die in Frankfurt am Main zusammentreten sollte.
Der preußischen Nationalversammlung war von der Krone die Aufgabe zugedacht worden, mit ihr gemeinsam eine Verfassung auszuarbeiten. Die Versammlung, in der weniger gemäßigte Kräfte saßen als noch im Vereinigten Landtag, stimmte dem Regierungsentwurf für eine Verfassung jedoch nicht zu, sondern arbeitete mit der „Charte Waldeck“ einen eigenen Entwurf aus. Nicht zuletzt die Verfassungspolitik der preußischen Nationalversammlung führte zur Gegenrevolution, zur Auflösung der Versammlung und zur Einführung einer oktroyierten Verfassung. Die oktroyierte Verfassung Preußens behielt zwar einige Punkte der Charte bei, stellte aber andererseits zentrale Vorrechte der Krone wieder her. Im Jahr 1850 wurde sie noch einmal revidiert. Vor allem das in dieser eingeführte Dreiklassenwahlrecht hat die politische Kultur Preußens bis 1918 entscheidend geprägt. Österreichisches Gegenstück zur oktroyierten Verfassung Preußens war die kurzlebige, 1849 von Kaiser Franz Joseph I. oktroyierte Märzverfassung, die mit dem Silvesterpatent von 1851 wieder abgeschafft wurde.
In der Frankfurter Nationalversammlung ging man zunächst von einer großdeutschen Lösung aus: Zum entstehenden Deutschen Reich sollte wie selbstverständlich derjenige Teil Österreichs gehören, der bereits dem Bund angehört hatte. Da Österreich aber nicht bereit war, in seinen nichtdeutschen Landesteilen eine getrennte Verwaltung und Verfassung einzurichten, wurde schließlich die so genannte kleindeutsche Lösung beschlossen, d. h. eine Einigung unter Preußens Führung. Demokratie und deutsche Einheit scheiterten aber im April 1849, als Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone ablehnte, die ihm die Nationalversammlung angetragen hatte. Die Revolution wurde in Südwestdeutschland mit Hilfe preußischer Truppen endgültig niedergeschlagen.
Nach Preußens gescheiterter Politik, mit der Erfurter Union (1849/1850) einen konservativeren aber konstitutionellen Nationalstaat zu gründen, erzwang Österreich in der Olmützer Punktation die Wiederherstellung der vorrevolutionären Verhältnisse im Deutschen Bund. Während der folgenden Reaktionsära arbeitete Preußen eng mit Österreich zusammen, um die liberale und nationale Bewegung und vor allem die Demokraten zu bekämpfen.
Nach der Revolution bis zum Kaiserreich (1849–1871) |
Wilhelm I., der schon 1858 die Regentschaft für seinen nach mehreren Schlaganfällen regierungsunfähigen Bruder Friedrich Wilhelm IV. übernommen hatte, bestieg 1861 den preußischen Thron. Mit Kriegsminister Roon strebte er eine Heeresreform an, die längere Dienstzeiten und eine Aufrüstung der preußischen Armee vorsah. Die liberale Mehrheit des Preußischen Landtags, dem das Budgetrecht zustand, wollte die dafür nötigen Gelder jedoch nicht bewilligen. Es kam zu einem Verfassungskonflikt, in dessen Verlauf der König die Abdankung in Erwägung zog. Als letzten Ausweg entschloss er sich 1862, Otto von Bismarck als Ministerpräsidenten zu berufen. Dieser war ein vehementer Befürworter des königlichen Alleinherrschaftsanspruchs und regierte jahrelang gegen Verfassung und Parlament und ohne gesetzlichen Haushalt. Das liberale Parlament und auch Bismarck machten sich gegenseitig mehrere Vorschläge des Ausgleichs, lehnten diese aber beide immer wieder ab. So kam es, dass Bismarck 1866, nach dem gewonnenen Krieg gegen Österreich, als Schadloserklärung das Indemnitätsgesetz vorlegte, in der die unbewilligten Budgets nachträglich bewilligt wurden.
Aus der Erkenntnis heraus, dass die preußische Krone nur dann Rückhalt im Volk gewinnen könne, wenn sie sich an die Spitze der deutschen Einigungsbewegung setzte, führte Bismarck Preußen in drei Kriege, die König Wilhelm die deutsche Kaiserkrone einbrachten.
Erster Einigungskrieg: Deutsch-Dänischer Krieg |
Der König von Dänemark war in Personalunion Herzog der Herzogtümer Schleswig und Holstein, über die es im Vertrag von Ripen 1460 heißt, dass diese „op ewig ungedeelt“ („auf ewig ungeteilt“) bleiben sollten. Obschon es in Folge mehrmals zu Landesteilungen innerhalb der Herzogtümer kam, beriefen sich die deutschen Nationalliberalen im 19. Jahrhundert auf ebendiese Aussage des Ripener Vertrages, um ihre Forderung nach einer Anbindung Schleswigs an Holstein und den Deutschen Bund zu rechtfertigen. Staatsrechtlich gehörte nur das Herzogtum Holstein als früheres römisch-deutsches Lehen zum Deutschen Bund, während Schleswig ein dänisches Lehen war (siehe auch: Dänischer Gesamtstaat). Der Beschluss der Kopenhagener Regierung nach der Ablehnung der vorherigen Gesamtstaatsverfassung durch den Dt. Bund mit der Novemberverfassung eine Verfassung allein für Schleswig und Dänemark zu verabschieden, führte im Dezember 1863 zunächst zu einer Bundesexekution gegen das bundesangehörige Holstein und ab Februar 1864 schließlich unter Protest des Deutschen Bundes[15] zum Deutsch-Dänischen Krieg und der Besetzung Schleswigs und weiter Teile Norderjütlands durch Preußen und Österreich. Nach dem preußisch-österreichischen Sieg musste die dänische Krone im Frieden von Wien auf die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg verzichten. Die Herzogtümer wurden zunächst gemeinsam in einem preußisch-österreichischen Kondominium verwaltet. Nach der Gasteiner Konvention von 1865 fiel Schleswig unter preußische, Holstein unter österreichische Verwaltung, während Österreich seine Rechte am Herzogtum Lauenburg an die preußische Krone verkaufte. 1866 wurden Schleswig, Holstein und Lauenburg zu der neuen preußischen Provinz Schleswig-Holstein vereinigt.
Zweiter Einigungskrieg: Krieg gegen Österreich |
Bald nach Ende des Kriegs mit Dänemark brach zwischen Österreich und Preußen Streit um die Verwaltung und die Zukunft Schleswig-Holsteins aus. Dessen tiefere Ursache war jedoch das Ringen um die Vorherrschaft im Deutschen Bund. Es gelang Bismarck, den aus Gründen der Loyalität gegenüber Österreich lange zögernden König Wilhelm zu einer kriegerischen Lösung zu überreden. Preußen hatte zuvor bereits ein geheimes Militärbündnis mit dem Königreich Sardinien-Piemont abgeschlossen, das u. a. Gebietsabtretungen Österreichs vorsah. Österreich wiederum hatte Frankreich in einem Geheimvertrag die Errichtung eines „Rheinstaates“ auf Kosten Preußens zugesichert. Dies waren klare Rechtsbrüche, da die Bundesakte von 1815 Mitgliedern des Deutschen Bundes untersagte, Bündnisse gegen andere Mitgliedsstaaten einzugehen.
Nach dem preußischen Einmarsch in das unter österreichischer Verwaltung stehende Holstein beschloss der Frankfurter Bundestag die Bundesexekution gegen Preußen. Preußen erklärte seinerseits den Deutschen Bund als erloschen und besetzte die Königreiche Sachsen und Hannover sowie Kurhessen. Auf der Seite Österreichs standen auch die übrigen deutschen Königreiche und weitere, vor allem südwest- und mitteldeutsche Staaten. Die Freie Stadt Frankfurt als Sitz des Bundestages neigte der österreichischen Seite zu, verhielt sich aber offiziell neutral. Auf Seiten Preußens trat neben einigen norddeutschen und thüringischen Kleinstaaten auch das Königreich Italien in den Krieg ein (→ Schlacht bei Custozza und Seeschlacht von Lissa).
Im Deutschen Krieg errang Preußens Armee unter General Helmuth von Moltke am 3. Juli 1866 in der Schlacht von Königgrätz den entscheidenden Sieg. Mit dem Prager Frieden vom 23. August 1866 wurde der Deutsche Bund, der faktisch schon durch den Krieg zerfallen war, auch formell aufgelöst und Österreich musste aus der deutschen Politik ausscheiden. Durch die Annexionen der gegnerischen Staaten Königreich Hannover, des Kurfürstentum Hessen, Herzogtum Nassau und der Freien Stadt Frankfurt konnte Preußen fast alle seine Territorien miteinander verbinden. Aus den gewonnenen Gebieten bildete es die Provinzen Hannover, Hessen-Nassau und Schleswig-Holstein.
Bereits fünf Tage vor dem Friedensschluss hatte Preußen zusammen mit den Ländern nördlich der Mainlinie den Norddeutschen Bund gegründet. Anfangs ein Militärbündnis, gaben ihm die Vertragsparteien 1867 eine Verfassung, die ihn zu einem von Preußen dominierten, aber dem Föderalismus in Deutschland gerecht gewordenen Bundesstaat machte. Dessen von Bismarck entworfene Verfassung nahm in wesentlichen Punkten die des Deutschen Kaiserreiches vorweg. Der König von Preußen war Inhaber des Bundespräsidiums und ernannte den preußischen Ministerpräsidenten Bismarck zum Bundeskanzler. Die süddeutschen Staaten blieben außerhalb des Norddeutschen Bundes, gingen aber „Schutz- und Trutzbündnisse“ mit Preußen ein.
Die durch den militärischen Erfolg gestiegene Popularität Bismarcks hatte diesen im Vorfeld der Gründung des Norddeutschen Bundes dazu bewogen, den preußischen Landtag nachträglich um Straffreiheit für die budgetlose Regierungszeit zu ersuchen. Die Annahme dieser Indemnitätsvorlage führte zur Spaltung des Liberalismus in einen obrigkeitshörigen (Nationalliberale Partei) und einen weiterhin oppositionellen Teil (Deutsche Fortschrittspartei als Rumpfpartei). Das 1867 durch Bismarcks zähe Verhandlungsführung und auf Druck der Wirtschaft eingerichtete Deutsche Zollparlament brachte die Einbeziehung süddeutscher Vertreter in eine preußisch bzw. norddeutsch dominierte Institution mit sich. Mehrheitsbeschlüsse ersetzten das im Deutschen Zollverein bisher bestehende Vetorecht der Einzelstaaten. Bayerische und württembergische Patrioten reagierten ebenso besorgt wie der französische Kaiser Napoléon III. Als dieser jedoch als Gegenleistung für Frankreichs Stillhaltepolitik gegenüber Preußen einen territorialen Ausgleich verlangte, schürte er damit ungewollt das Misstrauen der Öffentlichkeit in den süddeutschen Staaten. Dies wiederum stärkte deren Bindungen an Preußen.
Dritter Einigungskrieg: Deutsch-Französischer Krieg |
Mit vagen Versprechungen, Luxemburg eventuell Frankreich zu überlassen, hatte Bismarck Napoléon III. dazu gebracht, seine Politik gegenüber Österreich zu dulden. Nun sah sich Frankreich einem erstarkten Preußen gegenüber, das von den früheren territorialen Zusagen nichts mehr wissen wollte. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern verschlechterten sich zusehends. Schließlich spitzte Bismarck den Streit um die spanische Thronkandidatur des katholischen Hohenzollernprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen in der Affäre der Emser Depesche bewusst so weit zu, dass die französische Regierung Preußen den Krieg erklärte. Dies stellte für die süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg, Baden und das südlich der Mainlinie noch unabhängige Hessen-Darmstadt den Bündnisfall dar.
Nach dem raschen deutschen Sieg im Deutsch-Französischen Krieg und der darauf folgenden nationalen Begeisterung in ganz Deutschland sahen sich nun auch die süddeutschen Fürsten gedrängt, dem Norddeutschen Bund beizutreten. Bismarck kaufte König Ludwig II. von Bayern mit Geldern aus dem so genannten Welfenfonds die Bereitschaft ab, König Wilhelm die deutsche Kaiserkrone anzutragen. Das Deutsche Reich wurde als kleindeutscher einheitlicher Nationalstaat gegründet, was schon als Einigungsmodell von der Nationalversammlung 1848/49 vorgesehen war. Im Spiegelsaal von Versailles wurde Wilhelm I. am 18. Januar 1871 – am 170. Jahrestag der Königskrönung Friedrichs I. – zum Deutschen Kaiser proklamiert.
Im Deutschen Kaiserreich (1871–1918) |
Von 1871 an ging Preußen ebenso sehr im deutschen Reich auf, wie das deutsche Reich preußischen Charakter annahm.[16] Der König von Preußen war auch Deutscher Kaiser und der preußische Ministerpräsident fast immer zugleich Reichskanzler. Der Ministerpräsident und Kanzler musste aber nicht unbedingt Preuße sein, wie die Ernennung von Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst zeigt.
Zwischen 1871 und 1887 führte Bismarck in Preußen den sogenannten Kulturkampf, der den Einfluss des politischen Katholizismus zurückdrängen sollte. Widerstände der katholischen Bevölkerungsteile und des Klerus, insbesondere im Rheinland und in den ehemals polnischen Gebieten, zwangen Bismarck aber dazu, die Auseinandersetzung ergebnislos zu beenden.[17] In den mehrheitlich von Polen bewohnten Landesteilen ging der Kulturkampf mit dem Versuch einer Germanisierungspolitik einher. Die preußische Ansiedlungskommission etwa versuchte mit beschränktem Erfolg polnisches Land für deutsche Neusiedler zu erwerben. Nach Bismarcks Entlassung wurde die Germanisierungspolitik vom Deutschen Ostmarkenverein fortgeführt, der 1894 in Posen gegründet wurde.
Auf Wilhelm I. folgte im März 1888 der bereits schwer kranke Friedrich III., der nach einer Regierungszeit von nur 99 Tagen verstarb. Im Juni des „Drei-Kaiser-Jahres“ bestieg Wilhelm II. den Thron. Er entließ 1890 Bismarck und bestimmte die Politik des Landes von da an weitgehend selbst. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (1914–1918) blieben preußische und Reichspolitik aufs engste miteinander verbunden.
Ende der Monarchie in Preußen |
Am 9. November 1918 kam es in Berlin zur Ausrufung der Republik in Deutschland. Wilhelm II. dankte als König von Preußen und damit als Deutscher Kaiser ab. Im Ergebnis der Novemberrevolution wurde das Deutsche Reich zur Republik. Der preußische Staat blieb mit einer republikanischen Verfassung als Freistaat Preußen ein Land des Deutschen Reiches. Die preußische Königskrone befindet sich heute auf der Burg Hohenzollern bei Hechingen.
Wirtschaft |
Wirtschaftliche Expansion unter König Friedrich-Wilhelm I. (1713–1740) |
In der Regierungszeit des Soldatenkönigs stand das „Plusmachen“, also das Streben nach dauerndem wirtschaftlichen Gewinn, im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik. In seiner Herrschaftszeit erreichte Preußen ökonomische Stabilität und Prosperität. Erst die Grundlage eines geordneten Staatshaushalts ermöglichte den Aufstieg zu einer der Wirtschaftsmächte Deutschlands im 18. Jahrhundert und ließ die militärische Expansion seines Sohnes, Friedrich II., in den darauffolgenden Jahrzehnten denkbar werden.
Ein Motor der positiven Entwicklung der zentralisierten Wirtschaft war die preußische Armee, welche versorgt werden musste. 1713 gründete Friedrich Wilhelm I. in Berlin mit dem Königlichen Lagerhaus eine Tuchmanufaktur, die 1738 4.730 Menschen beschäftigte. 1717 wurde durch die Ansiedlung von Webern in Luckenwalde der Grundstein für die dortige Textilindustrie gesetzt. Mit einem Ausfuhrverbot für die heimische Wolle im Jahre 1718 sicherte der König die Weiterverarbeitung in seinen Landen.
In Spandau und Potsdam entstand ab 1722 eine Gewehrmanufaktur. Die benötigten Facharbeiter wurden vor allem in Lüttich, einem Zentrum der Waffenherstellung, angeworben. Für den Nachwuchs sorgte unter anderem das im selben Jahr gegründete Große Militärwaisenhaus in Potsdam.[18]
Betreiber der Gewehrfabrik war das mit königlichen Privilegien ausgestattete Handelshaus Splitgerber & Daum, das weitere metallverarbeitende Manufakturen pachtete und zum größten Waffenproduzenten Preußens wurde. Abnehmer der Waffen war überwiegend die preußische Armee.
Für den zivilen Bedarf produzierte das Handelshaus Kupferbleche (Dacheindeckung), Kupferkessel (Brauereien, Siedereien), Messingteile (Behälter, Beschläge, Scharniere) und Eisen- und Stahlerzeugnisse (Bohrer, Scheren, Messer).
Ab 1716 nahm die königliche Deichkommission für die Oder ihre Arbeit auf. Die Entwässerung von Havelländischem und Rhinluch (nordwestlich von Nauen) brachte guten Gewinn an relativ ertragreichem Boden. Glaubensflüchtlinge aus dem Franken- und Schwabenland wurden Siedlungsplätze in menschenarmen Gegenden in der Uckermark zugewiesen, um diese urbar zu machen.
Um die Gewerbetätigkeit zu kontrollieren, wurde 1733 seitens des Königs eine Handwerksordnung erlassen, die alle Zünfte der Staatsaufsicht unterstellte, ihre Rechte stutzte, die Verbindung zu Nachbarstaaten untersagte und das Wandern der Gesellen kontrollierte.
Der wirtschaftliche Aufschwung war anhaltend, denn die Förderung beschränkte sich nicht mehr in erster Linie auf die hofzentrierten Wirtschaftszweige – wie unter Friedrich I. –, sondern weit über den Radius der Residenzen hinaus, und konzentrierte sich im militärischen Bereich, der fast überall im altpreußischen Staat vorhanden war.
Kriegswirtschaft, Krisen und wirtschaftliche Genesung (1740–1806) |
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter Friedrich II. erfuhr die Wirtschaft des Landes durch die mehrjährigen und auch kostspieligen Kriege (1740–1742, 1744–1745, 1756–1763) eine ziemliche Zerrüttung. Andererseits gelangten durch die Eroberung Schlesiens auch neue, wirtschaftlich bedeutsame Regionen (Textilgewerbe, Bodenschätze) in das preußische Herrschaftsgebiet.[19] Im Bereich der landeskulturellen Arbeiten wurden unter Friedrich II. große wirtschaftliche Fortschritte erreicht. Insbesondere gelang dies durch die Trockenlegung und Urbarmachung des Oderbruchs, des Netzebruchs und des Warthebruchs und die Kolonisation dieser Gebiete durch die Ansiedlung einer großen Zahl von Bauern und Handwerkern.[20]
Der König förderte auch den Ausbau von Wasserstraßen, Beispiele sind die Verbindung Berlins mit Stettin durch den Finowkanal, der Bromberger Kanal, die Regulierung der Netze und im Westen die Ruhrkanalisierung. Das Straßennetz allerdings wurde nicht gefördert und blieb somit in einem schlechten Zustand. Dies lag an den hohen Kosten, sodass der Bau von festen Straßen erst nach dem Tod Friedrich des Großen vorgenommen wurde. Durch eine intensiv betriebene Getreideversorgungspolitik und die systematische Anlegung von Getreidemagazinen gelang es dem preußischen Staat, die Getreidepreise auch in Notzeiten zu kontrollieren.
In der Gewerbepolitik förderte Friedrich der Große besonders die Seidenindustrie. Dazu wurden zahlreiche Fabrikanten, Facharbeiter und Spezialisten nach Preußen geholt und inländische Arbeiter und Hilfskräfte ausgebildet. Die dabei angewendeten Mittel waren: Geschenke, Vorschüsse, Privilegien, Stuhlprämien, Exportprämien, Lehrlingsgelder, Abgabenfreiheit für Rohmaterialien, Hochimposten, Einfuhrverbot ausländischer Produkte. Durch diese intensive Wirtschaftspolitik gelang es, die Seidenindustrie so hoch zu bringen, dass sie den eigenen Landesbedarf deckte und eine ansehnliche Ausfuhr erreichte. Daneben wurde vor allem die Baumwollindustrie gefördert, die noch unter König Friedrich Wilhelm (1713–1740) verboten war, um die eigene Wollweberei nicht zu gefährden. 1742 entstand die erste Baumwollfabrik, 1763 gab es in Berlin bereits zehn Baumwollfabriken. Im Gegensatz zur Seidenindustrie kam dieser Wirtschaftszweig fast ohne staatliche Unterstützung aus. 1763 wurde die Berliner Porzellanmanufaktur KPM vom preußischen Staat gekauft.
Der König ließ auch mehrere Fabrikanlagen, für die private Unternehmer das Wagnis nicht eingehen wollten, auf eigene Kosten errichten:
- Uhrenfabrik zu Berlin und Friedrichsthal (1781 für 141.235 Taler)
- Papierfabrik in Spechthausen (1781 für 56.000 Taler)
- Berliner Lackierfabrik (56.000 Taler)
- Garnfärberei in Caputh (1765 für 30.000 Taler)
Mit den im Land hergestellten Manufaktur- und Handwerkswaren konnte nahezu die gesamte inländische Nachfrage befriedigt und außerdem ein größerer Export erzielt werden, womit die notwendige Rohstoffeinfuhr fiskalisch mehr als ausgeglichen werden konnte. Die Handelsbilanz – 1740 noch mit einer halben Million Talern im Defizit, 1786 mit drei Mio. Talern im Überschuss – wurde unter Friedrich dem Großen erstmals positiv gestaltet.
In der Zeit nach dem Tod von Friedrich II., von 1786 bis 1806, gab es Auseinandersetzungen in Preußen zwischen den Befürwortern des herrschenden Merkantilsystems und den Verfechtern der neu aufkommenden liberalen Strömungen. Unter Friedrich Wilhelm II. begnügte man sich damit, einige der protektionistischen Schranken und Verbote abzubauen:
- Beseitigung von Monopolen (Tabaksadministration, Kaffeebrenn-Monopol, Zuckersiederei-Monopol) und gleichzeitiges Verbot neuer Monopole
- Aufhebung von Zöllen und Akzisen (Seide, Baumwolle, Garn, Häute)
- Beseitigung der verhassten französischen Regie (eine mit französischen Beamten besetzte Behörde der Finanzverwaltung, die in der Bevölkerung sehr unbeliebt war)
Unter diesem gemilderten Protektionismus erlebte die preußische Wirtschaft einen, im Zuge einer guten äußeren Konjunktur, bedeutenden Aufschwung. Preußen hatte in den eineinhalb Jahrhunderten zwischen dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 und dem Beginn der Napoleonischen Kriege 1806 deutliche wirtschaftliche Fortschritte erreicht. Der modernste Staat des 17. und 18. Jahrhunderts gehörte um 1800 auch ökonomisch zu den am stärksten entwickelten Staaten Europas. Gleichwohl arbeitete um 1800 immer noch die Mehrheit der erwerbstätigen Menschen in Preußen in der Landwirtschaft.
Wirtschaftsreformen, Technisierung, industrielle Revolution (1807–1871) |
Die Katastrophe der napoleonischen Besetzung 1807 brachte Preußen auch wirtschaftlich an den Rand des Zusammenbruchs. Insofern waren die Reformgesetze der Zeit nach 1806, was ihre wirtschaftlichen Bereiche und Folgen betraf notwendig, um den Staat wirtschaftlich und finanziell am Leben zu erhalten und um einen späteren Befreiungskrieg möglich zu machen. Die preußische Wirtschaftsreform nach 1806 gehörten zu den erfolgreicheren Neuerungsmaßnahmen der preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Die nominelle Bauernbefreiung war die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwungs der nächsten Jahrzehnte in Preußen. Gleiches galt für die Gewährung der vollständigen Gewerbefreiheit, da diese überhaupt erst die Mobilität großer Menschenmassen, die Bewegung der ländlichen Bewohner Preußens in die wachsenden Industriestädte des Landes möglich gemacht hatte. Die preußische Staatsverwaltung ihrerseits erreichte mit einigen wichtigen Maßnahmen, der zu diesem Zeitpunkt darniederliegenden Wirtschaft des Landes auf die Beine zu helfen.
Preußen verwirklichte mit dem Handels- und Zollgesetz vom 26. Mai 1818 ein eigenes einheitliches Zollgebiet ohne Binnenzölle.[21]
Nachdem alle innerstaatlichen Handelsschranken in Preußen gefallen waren, wurde auf Initiative Preußens 1834 der Deutsche Zollverein gegründet. Preußen hatte – unter anderem wegen seines zersplitterten Staatsgebiets – ein Eigeninteresse daran, die Zollgrenzen im Deutschen Bund abzuschaffen. Diese Maßnahme beflügelte den innerdeutschen Handel und trug zum Wirtschaftswachstum der folgenden Dekaden maßgeblich bei.
Im Zuge der Industrialisierung wurde eine Anzahl von Land-, Wasserwegen und Kanälen gebaut, welche quer durch Deutschland den Westen mit dem Osten verbanden. Im Oberland West- und Ostpreußens entstand der Oberländische Kanal, der die Ostsee und Elbing im Norden mit Masuren im Süden verband. Mit der 1865 erfolgten Gründung der Königlich Preußischen Elbstrom-Bauverwaltung wurde die Elbe in sechs Kreise eingeteilt, die den Brücken- und Kanalbau, die Fähren, Mühlen, Hafenanlagen und Deiche zu überwachen hatten. Vormals unbedeutende Regionen (Ruhrgebiet, Saargebiet und Oberschlesisches Industriegebiet) entwickelten sich in der Zeit nach 1815, durch die Ausbeutung von Kohlevorkommen und den späteren Eisenbahnbau zu prosperierenden Zentren von Montanindustrie und Maschinenbau. Damit wuchs das wirtschaftliche Gewicht Preußens gegenüber Österreich im Deutschen Bund.
Im Eisenbahnbau hinkte Preußen lange Zeit international hinterher. Dies hatte auch für seine Wirtschaft Folgen. So kam es, dass amerikanisches Getreide, englische und belgische Kohle und Roheisen und andere Artikel preiswerter als die heimischen Erzeugnisse waren. Dies lag daran, dass es in England, Belgien und in den USA bereits effiziente Eisenbahnnetze für den Massengütertransport gab. Erste größere private Eisenbahnen wurden daher 1837 mit der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft (Köln – Aachen – belgische Grenze) und 1843 mit der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft vom Rheinland bis zu den schiffbaren Häfen in Minden (mit Zugang zu den bremischen Häfen) angelegt. Der Staat Preußen selbst wurde im Eisenbahnbau 1850 mit der Königlich-Westfälischen Eisenbahn-Gesellschaft und der Preußischen Ostbahn sowie 1875 mit der Berliner Nordbahn tätig. In der Folge wurden zunehmend private Eisenbahnen durch finanzielle Unterstützung, durch Aufkauf oder durch Enteignung (nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg 1866) der staatlichen Regie unterworfen.
Obwohl Preußen in wirtschaftlicher Hinsicht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Großmacht aufstieg, war der Hohenzollernstaat bis weit in das 19. Jahrhundert hinein agrarisch geprägt.
Jahr | Steinkohle | Roheisen | Stahl | Eisenbahnnetz |
---|---|---|---|---|
1815 | 998.000 t | – | – | – |
1825 | 1.292.000 t | 40.837 t | – | – |
1835 | 1.709.000 t | 65.591 t | – | – |
1845 | 3.564.000 t | 85.100 t | – | 845 km |
1850 | 4.419.000 t | 135.000 t | 149.300 t | 3.144 km |
1855 | 8.670.000 t | 301.400 t | 317.400 t | 4.353 km |
1865 | 18.592.000 t | 772.000 t | 611.000 t | 7.647 km |
1875 | 33.520.000 t | 1.393.000 t | 1.346.000 t | 13.703 km |
1885 | 52.977.000 t | 2.664.000 t | 2.348.000 t | 22.201 km |
1895 | 72.751.000 t | 3.778.000 t | 4.346.000 t | 26.700 km |
1905 | 113.188.000 t | 7.106.000 t | 8.557.000 t | 32.367 km |
1913 | 180.057.000 t | 12.260.000 t | 11.860.000 t | 36.032 km |
Wirtschaft im Deutschen Kaiserreich (1871–1918) |
Obwohl die politische Bedeutung Preußens im neugegründeten Deutschen Kaiserreich seit 1871 sank, stellte Preußen immer noch das wirtschaftlich mächtigste Land des Kaiserreiches dar. Das in Preußen gelegene Rheinland, Berlin sowie Schlesien, die Provinz Sachsen und die Rhein-Main-Region waren denn auch die wichtigsten Wirtschaftszentren des Reiches. Die Industrialisierung in Preußen nahm auch im Kaiserreich nach 1871 stetig zu. Dies zeigte der Anstieg des Erwerbstätigenanteils, die in der Industrie, Handwerk und Bergbau beschäftigt waren. So stieg dieser Erwerbstätigenanteil im Sekundärsektor und Bergbau zwischen 1871 und 1907 von 30,4 % auf 42,8 % an.
Allerdings verlief dieser Prozess regional unterschiedlich: In der Provinz Ostpreußen nahm der Anteil des Sekundärsektors und des Bergbaus von 1871 bis 1907 nur von 16,1 % auf 20,4 %, in der Rheinprovinz dagegen von 41,3 % auf 54,5 % zu. Allerdings lag der Industrialisierungsgrad Gesamt-Preußens lange Zeit noch unter dem Reichsdurchschnitt.
Im Jahre 1913 wurde in Preußen 62 % des Nettonationaleinkommens des Deutschen Reiches erwirtschaftet. Die Zahl entsprach genau dem Anteil der preußischen Bevölkerung an der gesamten Reichsbevölkerung.
Ab 1880 bis 1888 erfolgte die Verstaatlichung der meisten Privatbahnen. Am Ende des Ersten Weltkrieges bildeten die staatlichen preußischen Eisenbahnen ein 37.500 km großes Eisenbahnnetz. Die regelmäßigen Mehreinnahmen der Preußischen Staatseisenbahnen dienten auch dazu, den Staatshaushalt auszubalancieren.[23]
Verwaltungsgliederung |
Die preußischen Landesteile wurden 1815–1818 im Zuge der Verwaltungsreformen nach den gewonnenen Freiheitskriegen gegen Napoleon und den Territorialgewinnen im Zuge des Wiener Kongresses 1815 in eine moderne Organisation aus Provinzen, Regierungsbezirken und Landkreisen überführt.
Die „Staaten des Königs von Preußen“, für deren Gesamtheit sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts der Name „Preußen“ einbürgerte, bestanden Anfang des 18. Jahrhunderts aus den Landesteilen Königreich Preußen, Markgrafschaft Brandenburg, Herzogtum Pommern, Geldern, Kleve, Moers, Tecklenburg, Lingen, Minden, Mark, Ravensberg, Lippstadt, Herzogtum Magdeburg, Halberstadt, dem souveränen Fürstentum Neuenburg und der souveränen Grafschaft Valangin. 1713 wurden die Landesteile in folgende Provinzen gegliedert: Mittel-, Ucker- und Altmark, Neumark-Pommern-Kassuben, Preußen, Geldern-Kleve, Minden-Mark-Ravensberg, Magdeburg-Halberstadt, Neuenburg (Land) und Valangin (Land). 1740 wurden die Provinzialbehörden in Kriegs- und Domänenkammern überführt oder neu gegliedert. Auch deren Gestalt änderte sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte mehrmals, als weitere Gebiete, darunter Schlesien als souveräner Besitz, zu Preußen kamen.
Nach dem Wiener Kongress 1815 wurde der Staat Preußen mit der Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden vom 30. April 1815 in zehn Provinzen eingeteilt, die mit Ausnahme von Ostpreußen, Westpreußen und Posen als Verwaltungseinheiten Preußens zum Territorium des Deutschen Bundes zählten. Nach der bereits 1822 erfolgten Fusion der beiden rheinischen Provinzen waren dies neun Provinzen (in Klammern die Hauptstadt):
Provinz Brandenburg (Potsdam)
Provinz Ostpreußen (Königsberg)
Provinz Westpreußen (Danzig)
Provinz Pommern (Stettin)
Provinz Schlesien (Breslau)
Provinz Posen (Posen)
Rheinprovinz (Koblenz), 1822 entstanden aus
Provinz Jülich-Kleve-Berg (Köln)
Provinz Großherzogtum Niederrhein (Koblenz)
Provinz Westfalen (Münster)
Provinz Sachsen (Magdeburg)
1829–1878 waren Ost- und Westpreußen zur Provinz Preußen (Hauptstadt Königsberg) vereinigt.
Nach dem Deutschen Krieg von 1866 annektierte Preußen das Königreich Hannover, das Kurfürstentum Hessen, das Herzogtum Nassau, die Herzogtümer Schleswig und Holstein sowie die Freie Stadt Frankfurt. Aus diesen Gebieten wurden drei Provinzen gebildet:
Provinz Hannover (Hannover)
Provinz Hessen-Nassau (Kassel)
Provinz Schleswig-Holstein (Kiel, 1879–1917 Schleswig)
Preußen umfasste damit zwölf Provinzen. Diese Einteilung blieb bis zum Inkrafttreten des Versailler Vertrags im Jahre 1920 bestehen.
Bevölkerungszahl und Fläche |
Die Entwicklung der Bevölkerungszahl und Fläche Preußens zwischen 1701 und 1939 zeigt eine stark steigende Tendenz:[24]
Jahr | Bevölkerung | Fläche |
---|---|---|
1713 | 1,6 Mio. | 114.000 km² |
1740 | 2,4 Mio. | 119.000 km² |
1786 | 5,4 Mio. | 195.000 km² |
1795 | 8,7 Mio. | 300.000 km² |
1806 | 9,7 Mio. | 300.000 km² |
1807 | 4,94 Mio. | 158.000 km² |
1816 | 10,3 Mio. | 280.000 km² |
1840 | 15 Mio. | 280.000 km² |
1861 | 18,5 Mio. | 280.000 km² |
1871 | 24,6 Mio. | 348.780 km² |
1880 | 27 Mio. | 348.780 km² |
1910 | 40,16 Mio. | 348.780 km² |
Der Anstieg der Bevölkerungszahl im 17. und 18. Jahrhundert beruhte auf Gebietsgewinnen und einer intensiv betriebenen Peuplierungspolitik. Durch die Bestimmungen des Friedens von Tilsit 1807 schrumpfte Preußen deutlich zusammen, erhielt jedoch im Zuge des Wiener Kongresses im Jahre 1815 seine ungefähre frühere Größe zurück. Die danach weiter ansteigende Bevölkerungszahl beruhte vornehmlich auf Gebietserwerbungen infolge der Einigungskriege und auf dem hohen natürlichen Bevölkerungswachstum im 19. und frühen 20. Jahrhundert.
Siehe auch |
- Geschichte Brandenburgs
- Hohenzollern
- Könige in Preußen
- Könige von Preußen
- Deutsches Kaiserreich
- Freistaat Preußen
- König von Preußen (Schiff)
- Verpreußung
Literatur |
- Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer: Moderne preussische Geschichte: 1648–1947. 3 Bände, De Gruyter Verlag, Berlin 1981, ISBN 3-11-008324-8.
Ingrid Mittenzwei, Erika Herzfeld: Brandenburg-Preußen 1648–1789. 1. Auflage. Verlag der Nation, Berlin 1987, ISBN 3-373-00004-1.- Uwe A. Oster: Preußen. Geschichte eines Königreichs. München 2010, ISBN 978-3-492-05191-0.
Weblinks |
- Reinhard Nelke: Darstellung der Geschichte Preußens. Abgerufen am 7. Februar 2009.
- Statistische und historische Informationen zu Preußen bei HGIS
- rbb online: Preußen – Chronik eines Deutschen Staats. Abgerufen am 7. Februar 2009.
Sammlung historischer Landkarten zur preußisch/deutsch-polnischen Geschichte (Memento vom 16. Juni 2007 im Internet Archive)
Einzelnachweise |
↑ Dazu Clark (2006) in Iron Kingdom: “In due course, even the ancient and venerable name of Brandenburg would be overshadowed by ‘Kingdom of Prussia’, the name increasingly used in the eighteenth century for the totality of the northern Hohenzollern lands” (S. 65) und “The words ‘kingdom of Prussia’ were incorporated into the official denomination of every Hohenzollern province” (S. 77).
↑ Georg Heinrich von Berenhorst: Aus dem Nachlass, ed. E. v. Bülow I, Dessau 1845, S. 187.
↑ Hans Rosenberg: The Formation and Transformation of the Bureaucratic Nobility during the 18th Century. In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. 2, S. 649 ff.
↑ Hugo Rachel: Der Merkantilismus in Brandenburg-Preußen. In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. 2, S. 951 ff.
↑ Auswirkungen beschreibt Klaus Schwieger: Militär und Bürgertum. Zur gesellschaftlichen Prägkraft des preußischen Militärsystems im 18. Jahrhundert. In: Dirk Blasius (Hrsg.): Preußen in der deutschen Geschichte, Königstein/Ts. 1980, S. 179 ff.
↑ Zu den Gesamtaspekten der Herrschaftszeit Friedrich II. siehe Wilhelm Treue (Hrsg.): Preußens großer König. Freiburg und Würzburg 1986.
↑ Einen Überblick zur friderizianischen Aufklärung gibt Henri Brunschwig: Aufklärung in Preußen. In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. 3, S. 1307 ff.
↑ Hoffmann/Jander: Modernes Preußen im 18. Jahrhundert?, Herrman Schroedel Verlag KG, Hannover 1981, S. 100.
↑ Hermann Conrad: Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates. In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. 2, S. 598 ff.
↑ Georg Kotowski: Wilhelm von Humboldt und die deutsche Universität. In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. 3, S. 1346ff.
↑ Gordon A. Craig: Stein, Scharnhorst und die Preußischen Reformen. In: Ders.: Die preußisch-deutsche Armee 1640–1945. Staat im Staate, Düsseldorf 1960, S. 56–72; Jürgen Kloosterhuis/Sönke Neitzel Hgg., Krise, Reformen – und Militär. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806, Duncker & Humblot, Berlin 2009.
↑ Zur historischen Perspektive noch in der Kaiserzeit siehe Otto Hintze: Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung (Erstpublikation 1911), in: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. 2, S. 731ff.
↑ Richard H. Tilly: Die politische Ökonomie der Finanzpolitik und die Industrialisierung Preußens, 1815–1866. In: Dirk Blasius (Hrsg.): Preußen in der deutschen Geschichte, Königstein/Ts. 1980, S. 203ff.
↑ William Otto Henderson: Prussia and the Founding of the German Zollverein. In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. 2, S. 1088 ff.
↑ Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815–1866. Oldenbourg, München 2006, ISBN 978-3-486-55028-3, S. 46–47.
↑ Siegfried A. Kaehler: Das preußisch-deutsche Problem seit der Reichsgründung. In: Dirk Blasius (Hrsg.): Preußen in der deutschen Geschichte, Königstein/Ts. 1980, S. 57 ff.
↑ Georg Franz-Willing: Der große Konflikt: Kulturkampf in Preußen. In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. 3, S. 1395 ff.
↑ Zur Kinderarbeit in der Frühindustrialisierung siehe auch Jürgen Kuczynski: Geschichte des Alltags des deutschen Volkes. Band 3, Pahl-Rugenstein, Köln 1981, S. 233–272.
↑ Peter Baumgart: Schlesien in der Politik Friedrichs des Großen. In: Wilhelm Treue (Hrsg.): Preußens großer König, S. 161 ff.
↑ Zum Folgenden vgl. Karl Heinrich Kaufhold: Wirtschaft, Gesellschaft und ökonomisches Denken. In: Wilhelm Treue (Hrsg.): Preußens großer König, S. 101 ff.
↑ Gustav von Schmoller (1898): Das preussische Handels- und Zollgesetz vom 26. Mai 1818 im Zusammenhang mit der Geschichte der Zeit, ihrer Kämpfe und Ideen
↑ Heinrich Kaufhold/ Bernd Sösemann: Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung in Preußen – Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Preußen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. In: VSWG Beihefte. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1998, ISBN 3-515-07424-4, S. 97–107.
↑ Acta Borussica – Protokolle des preußischen Staatsministeriums (PDF-Datei)
↑ Siehe auch Kurt Hinze: Die Bevölkerung Preußens im 17. und 18. Jahrhundert (…). In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. I, S. 282–315, und Wolfgang Köllmann: Demographische „Konsequenzen“ der Industrialisierung in Preußen, ebda, S. 447–465.
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