Leunawerke






Leuna-Benzin-Logo, 1930er-Jahre


Die Leunawerke, benannt nach der östlich des Industriegebiets liegenden Stadt Leuna, liegen südlich von Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt. Sie waren das größte Hydrierwerk Deutschlands und dann in der DDR der größte Betrieb der Chemieindustrie. Heute sind auf dem Gebiet der Leunawerke zahlreiche neue Unternehmen angesiedelt. Die Infrastruktur wird von der Infraleuna GmbH verwaltet.




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Geschichte


    • 1.1 Gründung als Ammoniakwerk Merseburg der BASF


    • 1.2 Unternehmen der I.G. Farben


    • 1.3 Zweiter Weltkrieg


    • 1.4 VEB Leuna-Werke Walter Ulbricht


    • 1.5 Aufteilung nach 1990




  • 2 Literatur


  • 3 Weblinks


  • 4 Einzelnachweise





Geschichte |



Gründung als Ammoniakwerk Merseburg der BASF |


Ammoniak ist ein wichtiger Grundstoff sowohl zur Produktion von Düngemitteln (Harnstoff) als auch Salpetersäure. Diese dient unter anderem zur Sprengstoffherstellung (Ammoniumnitrat, Pikrinsäure). Im Ersten Weltkrieg überstieg der Bedarf an diesen Produkten die Kapazitäten des Werkes Oppau der BASF, die das Patent für die Ammoniaksynthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren besaß. Auf Drängen der Regierung des Deutschen Kaiserreiches und deren Oberster Heeresleitung plante die BASF den Bau eines zweiten Ammoniakwerkes. Um vor potentiellen Angriffen der französischen Luftstreitkräfte sicher zu sein, wählte man einen Standort in Mitteldeutschland.[1] Am 25. Mai 1916 war in Leuna Grundsteinlegung für die Badische Anilin- und Sodafabrik, Ammoniakwerk Merseburg genannte Anlage, deren Bau von Carl Bosch geleitet wurde. Nach kurzer Bauzeit verließ Ende April 1917 der erste Kesselwagen das Werksgelände.


1920 wurden die Leuna Werke und der Standort Oppau zur Ammoniakwerke Merseburg-Oppau GmbH fusioniert. Während der Märzkämpfe in Mitteldeutschland im Frühjahr 1921 verbarrikadierten sich aufständische Arbeiter in den Leunawerken.


1923 wurde in Leuna das 1920 von Matthias Pier entwickelte neue Hochdruckverfahren für die Methanolherstellung aus Synthesegas großtechnisch umgesetzt.



Unternehmen der I.G. Farben |




Die Eröffnung der Schau „Deutsches Volk-Deutsche Arbeit“, Kaiserdamm Berlin. Ein Teil des Werkes Leuna in der Abteilung Chemie auf der Ausstellung, April 1934


Ende 1925 wurde die BASF Zweigniederlassung des I.G. Farben-Konzerns, in dem Leuna nun wieder als Ammoniakwerk Merseburg GmbH – Leuna Werke firmierte. 1926 wurde das Werk wegen seiner Lage im Mitteldeutschen Braunkohlerevier für die großindustriellen Versuche zur Herstellung von Synthetischem Benzin ausgewählt, um das Deutsche Reich vom Erdölimport unabhängiger zu machen. Dieses „Leuna-Benzin“ wurde auch „Deutsches Benzin“ genannt und nach dem Bergius-Pier-Verfahren durch Hochdruckhydrierung von Braunkohle erzeugt. 1927 wurden die Versuche wegen technologischer Probleme unterbrochen, um erst 1932 wieder aufgenommen zu werden.


Im Vergleich zu den Weltmarktpreisen war die Produktion zu teuer. Daher trafen sich im November 1932 die I.G.-Farben-Direktoren Bütefisch und Gattineau mit Hitler, um ihn über die zukünftige Bedeutung synthetischen Benzins aufzuklären. Sie erhielten von Hitler die Zusage, im Falle seiner Regierung die Herstellung von synthetischem Benzin durch Absatz- und Mindestpreisgarantien zu unterstützen. Der I.G.-Farben-Konzern sicherte sich 1933 in einem Vertrag die komplette Treibstoffversorgung der Wehrmacht.


Die in Schkopau ansässigen Buna-Werke waren eine Tochtergesellschaft der Ammoniakwerk Merseburg GmbH – Leuna Werke.



Zweiter Weltkrieg |


Da Deutschland über fast keine eigenen Ölvorkommen verfügt, erlangte bereits vor dem Zweiten Weltkrieg die Herstellung von synthetischem Benzin durch Kohleverflüssigung („Deutsches Benzin“) aus strategischen Gründen eine große Bedeutung. Der Bau von Hydrierwerken wurde ein wesentlicher Bestandteil der Autarkiebestrebungen des im Oktober 1936 veröffentlichten Vierjahresplans. Bei Kriegsbeginn 1939 produzierten sieben Hydrierwerke, die meisten auf der Basis von Braunkohlenschwelteeren. Das größte in Leuna war auch das Leit-Werk und arbeitete auf der Basis von Braunkohle.


Im November 1944 wurden in den Leunawerken insgesamt 12.132 ausländische Arbeitskräfte beschäftigt, und im März 1945 waren es 14.140 Personen. Von den etwa 12.000 Arbeitskräften am Jahresende 1944 ist die Nationalität bekannt. Lediglich 1.500 waren Reichs- oder Volksdeutsche aus Mitteleuropa, 2.200 waren russische Ostarbeiter, 2.400 Franzosen, 2.000 Italiener, 450 Tschechen und 430 Flamen. 515 hatten kroatischen, polnischen, niederländischen und marokkanischen Hintergrund. Hinzu kamen 1590 kriegsgefangene Franzosen und weitere 1600 Lagerhäftlinge in den sogenannten Arbeitserziehungslagern Osendorf, Zöschen und Schkopau. Insgesamt waren das mehr als 15.000 Arbeitskräfte, von denen mehr als zwei Drittel zu Zwangsarbeit in die Leunawerke verbracht worden waren.[2] Nach anderer Quelle hatten die Leunawerke Ende 1944 eine Belegschaft von 27.000 Arbeitskräften, von denen 16.500 ausländische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene waren.[3]


Hauptartikel: Luftangriffe auf die Leunawerke


Am 12. Mai 1944 kam es zum ersten großen Schlag der Alliierten gegen die deutsche Treibstoffindustrie. Mehr als 800 Bomber der 8. US-Luftflotte warfen über den mitteldeutschen Hydrierwerken eine Bombenlast von rund 1.700 Tonnen ab. Albert Speer, damals Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, schrieb später in seinem 1969 erschienenen Buch Erinnerungen: „Mit dem Gelingen dieser Angriffe war der Krieg produktionstechnisch verloren“. Das Werk konnte zehn Tage später den Betrieb wiederaufnehmen, wurde aber durch einen neuen Angriff am 28. Mai abermals lahmgelegt. In der „Schlacht um Leuna“ griffen alliierte Bombergeschwader in der Folge das Hydrierwerk mehr als zwanzigmal bis zur völligen Zerstörung an. Zwischen den Angriffen lief die Produktion, wenn auch eingeschränkt, immer wieder an. 6552 alliierte Flugzeuge warfen insgesamt eine Bombenlast von etwa 18.000 Tonnen auf Leuna ab.[4][5] Bei den Luftangriffen kamen auch zahlreiche Zwangsarbeiter ums Leben.[6] Am 4. April 1945 kam die Produktion endgültig zum Erliegen.[7]




VEB Leuna-Werke Walter Ulbricht |




„VEB Leuna-Werke Walter Ulbricht“ − DDR-Sondermarke aus dem Jahr 1966


Die Leunawerke kamen nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Zerschlagung der I.G. Farben in Form einer Sowjetischen Aktiengesellschaft in sowjetischen Besitz. Das im Krieg schwer beschädigte Werk verlor weitere 45 bis 50 Prozent der Anlagen durch Demontagen aufgrund der auf der Pariser Friedenskonferenz 1946 beschlossenen Reparationen gegenüber der Sowjetunion.


1954 wurden die Leunawerke in Volkseigentum überführt. Offiziell hieß das Werk bald VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“ (LWWU) und war der größte Chemiebetrieb der DDR. Im Werk arbeiteten zirka 30.000 Werktätige, die Produkte wurden in ungefähr vierzig Länder exportiert. Das Werksgelände – komplett eingezäunt – erstreckte sich auf einer Länge von sieben Kilometern und einer Breite von drei Kilometern. Auf dem Werksgelände befinden sich zwei Bahnhöfe der 1846 eröffneten Thüringer Bahn: Leuna Werke Nord und Leuna Werke Süd.




Leuna-Werke, Destillationsanlagen, September 1959


1959 begann neben dem weiterbestehenden Altwerk der Bau des Werkes Leuna II. Es handelte sich um einen modernen Produktionskomplex für die Petrochemie. Die Crackanlage zur Herstellung petrochemischer Rohstoffe wie Ethen und Propen und darauf aufbauend die Anlagen für Phenol, Caprolactam und Hochdruckpolyethylen wurden aus der Bundesrepublik Deutschland, der UdSSR, der DDR und aus Großbritannien geliefert. Die Rohstoffversorgung für die Erdölverarbeitung im Altwerk und damit für die Crackanlage erfolgte aus der UdSSR über die Erdölleitung Freundschaft via Schwedt/Oder. Um auch andere Erdöllieferanten nutzen zu können, wurde das Pipelinesystem an den Überseehafen Rostock angeschlossen.


In den 1970er- und 1980er-Jahren wurde, bedingt durch die beiden Ölpreiskrisen 1973/74 sowie 1979/80 und die verminderten Erdöllieferungen aus der UdSSR, besonders in die Erdölverarbeitung investiert. Neue Anlagen zur tieferen Spaltung des Erdöls wurden beispielsweise aus der Bundesrepublik Deutschland, aus Japan, Österreich und Schweden geliefert und mit modernen bundesdeutschen und US-amerikanischen Prozessleitsystemen betrieben. Damit wurde zugunsten der höherwertigen „weißen Produkte“ wie Motorenbenzin, Dieselkraftstoff und leichtes Heizöl der Anteil an „schwarzen Produkten“ (Schweröl und Bitumen) praktisch auf Null gesenkt. Die Kraftstoffe aus Leuna II wurden zur Devisenbeschaffung und zur Refinanzierung der Anlagen über den Bereich Kommerzielle Koordinierung des Ministeriums für Außenhandel der DDR auch in das westliche Ausland exportiert. So gab es an den Tankstellen West-Berlins Leuna-Benzin. Auch die schwersten Reste der Erdölverarbeitung wurden in der neuen Niederdruckmethanolanlage als Rohstoff für Synthesegas eingesetzt. Insgesamt war aber die Technologie wegen des hohen Bedarfs an Wasserstoff für die Hydrierung zu teuer.


Der technische Verschleiß der 60 bis 70 Jahre alten Anlagen (etwa zur Synthesegaserzeugung, zur Ammoniaksynthese und zur Hochdruckmethanolsynthese) war in den 1980er-Jahren so hoch, dass wegen des hohen Energie-, Arbeitskräfte- und Instandhaltungsbedarfs ein wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr möglich war. Um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen, arbeiteten in den letzten Jahren der DDR NVA-Bausoldaten im Werk.



Aufteilung nach 1990 |




Industrieanlagen in Leuna, 1991




Haltepunkt Leuna Werke Nord, im Hintergrund der Standort der Linde AG


Nach der Deutschen Wiedervereinigung wurde das Kombinat von der Treuhandanstalt in kleinere Einheiten zerlegt und verkauft. Zusätzlich erfolgte eine Reihe von Neugründungen und Neuansiedlungen von Unternehmen. So finden sich heute auf dem Gelände des Chemieparks viele unterschiedliche Firmen. Die Zahl der Arbeitsplätze reduzierte sich aber erheblich, wie bei vielen anderen Großbetrieben der DDR auch. Das Leuna-Werk war im Jahr 1978 mit 28.000 Beschäftigten der größte Chemiebetrieb in der DDR; 2014 waren es auf dem ehemaligen Werksgelände nur noch 9.000 Beschäftigte.[8]


Um den Erhalt des Standortes zu fördern, vermittelte Bundeskanzler Helmut Kohl zwecks Erhaltung „industrieller Kerne“ in den Neuen Bundesländern die Übernahme der Erdölraffinerie an den französischen Mineralölkonzern Elf Aquitaine. Für Schmiergeldzahlungen im Rahmen der Übernahme (Leuna-Affäre) wurden französische Manager verurteilt, unter anderem Alfred Sirven.


Die Mitteldeutsche Erdoel-Raffinerie (MIDER) ging 1997 nach zweieinhalbjähriger Bauzeit als modernste ihrer Art in Europa in Betrieb. Sie stellte die größte Direktinvestition eines französischen Konzerns in den neuen Bundesländern dar. Erleichtert wurde die Investition durch die Zusage von EU-Beihilfen in Höhe von 1,4 Milliarden Mark oder 27 % der Investitionssumme.[9]


Die Raffinerie, die mit Anlagenneubauten auf das Gebiet Leuna III in Richtung des Dorfes Spergau ausgedehnt wurde, trägt heute den Namen Total Raffinerie Mitteldeutschland GmbH (TRM), neben Total sind weitere Unternehmen beteiligt.



Literatur |



  • Friedrike Sattler: Unternehmensstrategien und Politik. Zur Entwicklung der mitteldeutschen Chemieindustrie im 20. Jahrhundert. In: Hermann-Josef Rupieper, Friederike Sattler, Georg Wagner-Kyora (Hrsg.): Die mitteldeutsche Chemieindustrie und ihre Arbeiter im 20. Jahrhundert. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2005, ISBN 3-89812-246-8, S. 119–175.

  • Jana Lehmann, Marion Schatz: Leuna zwischen Wiederaufbau und Wendezeit. 1945–1990. Herausgegeben durch das Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt. Sutton Verlag, Erfurt 2006, ISBN 3-86680-024-X (Die Reihe Arbeitswelten).



Weblinks |



 Commons: VEB Leuna-Werke Walter Ulbricht – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien


  • Informationen zur Geschichte des Standorts bei InfraLeuna.de

  • Frühe Zeitungsartikel zur Leunawerke in der Pressemappe 20. Jahrhundert der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW).



Einzelnachweise |




  1. www.basf.com/history/1902-1924 (Memento des Originals vom 20. Juli 2012 im Webarchiv archive.is) i Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.basf.com


  2. fes.de (PDF; 71 kB), Friedrich-Ebert-Stiftung, Georg Wagner-Kyora: Das Schicksal der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in den Bunawerken


  3. Martin Pabst: Die Luftangriffe auf Leuna und Merseburg am Ende des Zweiten Weltkrieges. Selbstverlag Cuxhaven 1995. Autorisierte Neuauflage: Leuna 2009.


  4. spiegel.de, Der Spiegel: Schlacht um Sprit, Ausgabe 14/1964 vom 1. April 1964.


  5. spiegel.de, Der Spiegel, Dietmar Pieper: Lebenssaft der Wehrmacht, aus: Der Krieg 1939 – 1945: Als die Welt in Flammen stand, Ausgabe 3/2010.


  6. Martin Pabst: Karteimässig erfasst, polizeilich gemeldet, abwehrmässig überprüft und zum Einsatz gebracht: das Fremdarbeiterlager Daspig bei Leuna zwischen 1939 und 1945 : Dokumente und Augenzeugenberichte, Band 7 der Reihe Dokumentation. Galgenbergsche, 2003, ISBN 3-933230-08-X, S. 136, hier S. 103 ff.in rumänischer Sprache. 


  7. mdr.de (Memento des Originals vom 17. Oktober 2013 im Internet Archive) i Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.mdr.de, Mitteldeutscher Rundfunk: Industrie und Technologie. Das mitteldeutsche Chemiedreieck., 1. August 2005.


  8. Dirk Skrzypczak: Entwicklung in Leuna - Aus Schock wird Stolz auf den Industriepark. In: Mitteldeutsche Zeitung. 17. September 2014 (mz-web.de [abgerufen am 12. Januar 2017]). 


  9. Uwe Müller: Leuna - das lausige Wunder (de). In: Die Welt, 31. Januar 2000. 


51.31861111111112.008333333333Koordinaten: 51° 19′ 7″ N, 12° 0′ 30″ O









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